INSPIRATION: Rituale durchziehen unser Leben – im Privaten (z.B. Taufe, Heirat, Beerdigung …), aber auch im Berufsleben (Meisterprüfung, Beförderung, Jubiläum). Und doch haben wir in unserer westlichen Kultur, ein zwiespältiges Verhältnis zu Ritualen. Wir sind schließlich rational, seriös … und nicht sentimental, emotional. Was für eine Selbstkasteiung und Verschwendung von Möglichkeiten. Andere Kulturen, insbesondere solche, die nicht mit dem westlichen Rationalismus „verseucht“ sind, tun sich da nicht nur leichter, sie zeigen auch, wie man ganzheitlich besser fährt.
So stellt sich die Frage, inwieweit die Arbeit mit Ritualen Coaching bereichern kann. „Rituale schaffen Sicherheit, tragen zu Stabilität und zur Förderung von Zusammenhalt bei.“ Autorin Antje Pfab hat zum Thema promoviert, gibt in ihrem lesenswerten Beitrag (Rituale im Coaching) einen Einblick in die Möglichkeiten der Arbeit mit Ritualen und zeigt, wie sie „einen Beitrag dazu leisten, Ambivalenzen und Unwägbarkeiten besser auszuhalten oder auch Unstimmigkeiten und Widersprüche nebeneinander stehen zu lassen.“ Und genau solches ist doch in einer VUCA-Arbeitswelt hilfreich.
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Im Coaching sind Rituale in vier Weisen präsent
- Gebrauchsanleitung: Man denke nur an die klassischen Phasenmodelle oder Methoden wie Reframing
- Beipackzettel: Analog zu Heilmitteln, man denke nur an die zahlreichen Coaching-Tools
- Fallgeschichten: Typische Erfolgsgeschichten
- Texte, Geschichte, Anekdoten, die Coaching als Übergangsritual präsentieren (z.B. Heldenreise)
Diese Betrachtung mag gar manche verwundern oder sogar erheitern, doch eröffnet sich damit eine Perspektive, die in Ethnologie oder Soziologie durchaus geläufig ist, und auch an den Alltagsgebrauch anschließt. Der Blick liegt nicht ausschließlich auf dem Einsatz von einzelnen Ritualen oder Symbolen im Coaching. Das ist weitverbreitet: Man überreicht ein Lerntagebuch oder wählt ein Bild als Motto – bspw. im Zürcher Ressourcenmodell – ZRM® (Ganzheitliches Selbstmanagement). Und so fügt sich das Arbeiten mit Symbolen oder Ritualen schnell in größere Zusammenhänge, also Sinnstrukturen, wie sie in Toolbooks beschrieben werden oder durchziehen Ansätze wie eben das ZRM®.
Der Einsatz von Symbolen und Ritualen ist im Coaching aber auch oft unterschiedlich zum Gebrauch von Ritualen im Alltag: Es fehlt hier zumeist die Öffentlichkeit als Zeuge. Das Symbol als Ressource, bspw. ein Gegenstand, den man als Anker benutzt oder eine Körperhaltung (Embodiment) werden der Öffentlichkeit nicht präsentiert wie das Hochzeitskleid. Manche psychotherapeutischen Schulen, die auch im Coaching eine Rolle spielen können, wie das Psychodrama, weisen aber eine viel größere Affinität zu Ritualen auf als „verkopfte“ Geschwisterverfahren wie die Kognitive Verhaltenstherapie.
Wenn sich Räume öffnen
Was passiert nun eigentlich, wenn man Rituale benutzt? Die Autorin beschreibt, dass sie immer Räume eröffnen. Und zwar besondere (man denke an Kirchen oder das Standesamt bei den Alltagsritualen), die dazu einladen, neue Rollen auszuprobieren (ein Möglichkeitsraum). Dieser Raum gibt Schutz und Struktur (auch in seiner Zeitlichkeit). In ihm kann man kreativ werden. Pfab macht hier auf einen weiteren Unterschied zu den Alltagsritualen aufmerksam: „Im Falle von traditionellen Übergangsritualen steht das Ergebnis des Transformationsprozesses von vornherein fest, während professionelle Coaching-Prozesse ergebnisoffen sind.“ Die Klientinnen und Klienten bestimmen selbst das jeweilige Ziel oder Resultat.
Weitergedacht, und so übersteigen wir den Einsatz von Tools, lässt sich leicht auch die Organisationsaufstellung als Ritual dekonstruieren, ebenso Großgruppenkonferenzmethoden, Organisationsentwicklung oder eben auch Coaching selbst. Immer geht es um Übergänge – oder wie wir so schön neudeutsch sagen: um Transformation. Jürgen Kriz, der Systemiker, nennt es Ordnungs-Ordnungs-Übergänge (Ganzheitliche Psychologie).
Vom Kleinen zum Großen: Drei Phasen sind es klassischerweise, die Rituale schon seit ewigen Zeiten charakterisieren: Trennungs-, Umwandlungs- und Annäherungsphase. Sogleich fällt einem das altbekannte Schema von Kurt Lewin ein; Unfreezing – Moving – Refreezing. Autorin Pfab gibt zu bedenken, dass das Verständnis von Coaching als Ritual sich zwar leicht anhört, aber gehöriges Fingerspitzengefühl (Rahmung, Timing, Einsatz von Symbolen) verlangt. Sie warnt auch davor, Rituale vorschnell zu zerreden. Ihre Stärke liege in der Wirkung des Rituals selbst. Besser geeignet seien paradoxe Interventionen oder die Verknüpfung mit Werten.
Es handelt sich bei der Betrachtung von Coaching als Ritual um eine neue Perspektive, die das Arbeiten von Klienten und Coach in ein neues – bislang wenig dominantes – Licht rückt. Insofern: Lesens- und anknüpfungswert.