REZENSION: Ulf Pillkahn – Die Weisheit der Roulettekugel. Innovation durch Irritation. Publicis Publishing 2013.
Die Einführung dieses Buchs startet mit einem spannenden Vergleich: SIMPad vs. iPad. Bereits im Jahr 2001 hatte Siemens einen Tablet-Computer entwickelt, es aber nicht geschafft, einen Markt dafür zu entwickeln. 2005 wurde die Produktion, nachdem etwa 100.000 Stück gefertigt worden waren, eingestellt. Seit der Vorstellung des iPad Anfang 2010 bis zum Jahr 2013 hatte Apple schon mehr als 100 Millionen Geräte verkauft. Warum konnte Apple dieses Erfolg erzielen und Siemens nicht? Sollte es daran liegen, dass der Markt noch nicht reif gewesen war? Nein, so der Autor, der Markt sei immer reif. Die größten Unterschiede zwischen den beiden Geräten macht er beim Design und der Bedienung aus. Doch darüber hinaus konstatiert er drei Antriebe für Innovation: Besessenheit, Zufall und Systematik. „Systematik“, so formuliert er als Anfangshypothese, „ist gut fürs Management, aber Besessenheit und Zufall sind besser für Innovationen.“ So stehen sich also die Besessenheit eines Steve Jobs und die Beamtenmentalität bei Siemens als Erklärungsmuster fürs Weitere gegenüber.
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Die Logik von Unternehmen, darum geht es im zweiten Kapitel, ist Effizienz. Das Nichtwissen, das Neue stört und scheint unkalkulierbar. Mitarbeiter sollen kreativ sein, aber zugleich ein umfassendes Reporting pflegen. Sie sollen Höchstleistung liefern, im Gegenzug sich aber mit einer durchschnittlichen Anerkennung zufrieden geben. Diese Janusköpfigkeit in Unternehmen breitet das dritte Kapitel aus. Wenn der Begriff Innovationsmanagement auftaucht, weiß man eigentlich schon, wie das Spiel weitergeht, denn das Wort ist ein Widerspruch in sich: Organisationen vermeiden systembedingt radikale Innovationen. Was dabei herauskommen mag, wird im besten Fall eine inkrementelle Innovation sein, also eine kleinschrittige Verbesserung eines schon bestehenden und etablierten Konzepts.
Innovationsmanagement
Der Leser wird in Kapitel 4 durch 100 Jahre Innovationsmanagement geschickt. Hier werden allerlei Konzepte präsentiert, aber auch Ergebnisse aus zehn Fallstudien: Aus diesen werden dann, indem eine Matrix durch die Dimensionen Industriedynamik und Einstellung zur Innovation aufgespannt wird, drei Effekte heraus präpariert:
- Dornröschen-Effekt: Obwohl die Industriedynamik turbulent ist, ist man eher zurückhaltend und schottet sich zum Markt hin ab. Dafür stehen die Unternehmen Polaroid, Firestone und Microsoft, aber auch Kodak und Quelle. Sie haben es versäumt, sich ausreichend mit dem Unternehmensumfeld auseinanderzusetzen und Innovationen anderer sozusagen verschlafen.
- Red-Queen-Effekt: Die Industriedynamik ist mittelmäßig ausgeprägt, man reduziert die Grundlagen – zugunsten der Anwendungsforschung; man schottet sich gegenüber der eigenen Organisation ab. Dafür stehen die Unternehmen Texas Instruments und Siemens Mobile Phones. Sie laufen der Entwicklung mit inkrementellen Innovationen hinterher, holen sie aber nicht mehr ein.
- Pionier-Effekt: Bekanntes und Bestehendes wird immer wieder in Frage gestellt. Dafür stehen die Unternehmen Semco, Google, Parc Xerox, 3M und Edison/GE. Sie zeigen ein aggressives Innovationsverhalten und ihnen gelingt es, die Organisation immer wieder zur Erneuerung anzutreiben.
Zahlenmenschen
Der Trend in den Unternehmen gehe hin zum Bohren immer dünnerer Bretter (Kap. 5). In den Chefetagen säßen immer öfter Manager, die von der Sache nichts verstünden, aber von Zahlen. „Warum sind Ideen eine Bringschuld der Mitarbeiter ans Management?“ fragt der Autor und sekundiert: „Krawatten sind der Mehltau des Konformismus.“ Dem „Lean-Brain Management“ (Dueck) fiele außer Restrukturierung und Downsizing wenig ein. Alter und Größe eines Unternehmens verhielten sich umgekehrt proportional zur Innovationstätigkeit. Dies zeigen auch die Ergebnisse einer Befragung von Praktikern des Autors. Dies führt ihn zur Erkenntnis, sich die Evolution als generatives Prinzip zunutze zu machen und die Frage aufzuwerfen, wie man Unternehmen durch gezielte Irritation zur radikalen Innovation bringen könne. So entsteht das Konzept des Innovationsroulette (Kap. 6). Wenn’s um die Budgets für Ideen geht, solle man würfeln. So können man die üblichen Bremsmechanismen der Organisation umgehen.
Soweit, so gut und anregend vorgetragen. Doch beschleicht den Leser die Frage, ob der Autor nicht auf halber Strecke stehen bleibt. Für Siemens mag das Würfeln eine Innovation sein. Doch warum gliedert man nicht innovative Einheiten aus, lässt sie eigenständig arbeiten, vielleicht auch durch die Crowd finanzieren? Das erschiene doch folgerichtiger. Und natürlich gibt es Autoren, die genau solches fordern, wie Ulrich Klotz, um nur mal einen Namen zu nennen: „(…) ist radikaler Hierarchieabbau die wahrscheinlich effektivste Form eines Innovationsmanagements.“
Systemik?
Verwunderlich ist auch, dass Autor Pillkahn, obwohl doch an der LMU in Psychologie promoviert, die reichhaltige Forschung dort nicht rezipiert. So hat sich doch dort um Dieter Frey eine größere Gruppe formiert, die breit zum Thema Innovation geforscht hat. Auch die Arbeiten von Gebert und Krause finden keine Erwähnung. Und wenn Pillkahn systemisches Denken anspricht, aber nie weiter begründet, außer auf Luhmann zu verweisen, ist das leider viel zu kurz gesprungen. Denn hier gäbe es reichliche Erkenntnisse zu rezipieren, die sich inzwischen ja auch im Schrifttum niedergeschlagen haben (Systemisches Innovationsmanagement). Und an der Zeppelin Universität, an der der Autor inzwischen lehrt, hätte er mit Baecker und Willke doch wahrlich kompetente Diskussionspartner, was das Systemische betrifft.
Fazit: Ein anregendes Buch, auch kurzweilig zu lesen, dem aber die entscheidende Radikalität noch abgeht. Aber wer weiß, vielleicht legt der Autor ja bald ein Nachfolgewerk vor …