20. Mai 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Einmal Zebra sein

INSPIRATION: Zwei Dinge habe ich aus den vielen interessanten Beiträgen der Brand eins von März 2024 mitgenommen: Die Lage ist wahrhaftig nicht rosig, manches ist furchtbar deprimierend. Andererseits gibt es Menschen, die sich davon nicht sonderlich beeindrucken lassen – und das macht wiederum Mut. Bei mir führt das nicht unbedingt zu Dauer-Optimismus, aber eben auch nicht zu Resignation. Es geht um Unternehmensgründungen.

Zuerst mal zu den bitteren Fakten: Weltweit landet unfassbar viel Plastik im Meer, pro Minute fast zwei Lkw-Ladungen. In Deutschland stehen die Menschen pro Jahr 333.000 Stunden im Stau. Jedes Jahr werden Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt. Fast 90% der europäischen Schafwolle wird vergraben oder verbrannt – 200.000 Tonnen pro Jahr. 96% des Abwassers in Deutschland wird geklärt – mit enormen Kosten für die Kommunen – dabei steckt in den Fäkalien jede Menge Energie (TO DO: Die Welt retten). Die Zahl der Gründungen pro 10.000 Erwerbsfähigen in Deutschland ist von 2002 bis 2022 von 276 auf 108 zurückgegangen (von 1,46 Millionen auf 550.000). Anteil der Wagniskapital-Abschlüsse, die an rein männliche Gründungsteams in 2021 ging: 83 – an rein weibliche: 5. Nach wie vor dauert es hierzulande eine gefühlte Ewigkeit, ein Unternehmen zu gründen – in Neuseeland dauert es vier Stunden.

Grund für Optimismus

Die Brand eins hat eine ganze Reihe höchst spannender Unternehmen aufgetan, die sich einigen der genannten Probleme annehmen. Da entwickelt ein Londener Start-up eine Folie aus Algen, die sich zum Verpacken von Lebensmitteln eignet und biologisch abbaubar ist. In Estland sitzt eine Firma, die aus Schafwolle Luftpolsterfolie für Logistikunternehmen produziert. Ein Start-up aus Österreich baut Häuser aus Holz, die nicht einmal mehr ein Fundament aus Beton benötigen. Ein Berliner Unternehmen gewinnt aus Klärschlamm grünen Wasserstoff. Ein Münchener Start-up entwickelt digitale Zwillinge von Städten, mit denen auf Verkehrsaufkommen vorausschauend reagiert werden kann. Ein anderes produziert Lebensmittel vegan und als Trockenware – Wasser und etwas Öl reichen zur Aufbereitung. Und es gibt jede Menge weitere ähnliche Geschäftsmodelle.

Womit bis hierher nur junge Unternehmen genannt sind. Was übrigens kein Phänomen unserer Zeit ist. Unser heutiger Wohlstand beruht auf einem ähnlichen Gründungsboom aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals war Deutschland „Apotheke der Welt, Chemiefabrik der Welt, Autofabrik der Welt.“ Und immer noch, so die Experten, sind deutsche Forschungseinrichtungen Weltspitze – nur scheint es nicht mehr so zu gelingen, daraus innovative Produkt und Dienstleistungen zu machen. Was daran liegen mag, dass es bisher ausreichte, die damals entwickelten Produkte immer besser und besser zu machen. Aber das reicht heute nicht mehr.

Übrigens – eine fast tragische Erkenntnis: Die Innovationen von damals sind die großen Probleme von heute: Verbrennungsmotor, synthetische Dünger und Plastik bzw. gesundheitsschädliche Chemikalien (Brodelnde Geister gesucht). Wäre es nicht irgendwie angebracht, dass sich diejenigen, die seit damals enorm verdient haben, jetzt auch um die Folgen kümmerten? Aber die Brand eins hat sich nicht in den Konzernen umgeschaut, sondern im Mittelstand. Der, so Stephan Jansen (Vergesst die Einhörner) kooperiert zwar weniger, aber effektiver als Konzerne mit Start-ups. Die Kombination könnte für Deutschland enorm wertvoll sein. Es mehren sich zwar die Anzeichen, dass auch der Mittelstand Probleme bekommt (Stichwort Energiepreise, wegbrechende Auslandsmärkte wegen der globalen Krisen und natürlich der Klimawandel), aber „mehr als 80% glauben, ihre Markstellung halten zu können.“

KI für den Mittelstand

Einige Beispiele sind in der Tat beeindruckend (Läuft doch!): Carl Zeiss, Hersteller von Brillengläsern und Mikroskopen, wo heute Bauteile für die Halbleiterfertigung produziert werden. Stiebel Eltron, wo man auf Wärmepumpen setzt und eine Achterbahnfahrt erlebt. Oder, sehr spannend, Covisions Labs, das in Brixen in Südtirol sitzt und einen höchst interessanten Ansatz verfolgt (Die KI-Koop): Dort wird Software entwickelt, die Mittelständlern in der Region mithilfe von Computer Vision den Weg in die neue Zeit ebnen soll.

Das Unternehmen versteht „sich als ausgelagerte Entwicklungsabteilung für die Unternehmen in der Region.“ Diese (inzwischen sieben an der Zahl) geben einen bestimmten Betrag und entscheiden mit, woran geforscht werden soll. Wobei die Kooperation in beide Richtungen gehen kann: So schweißte ein Mittelständler den Zylinder zusammen, in dem fotorealistische 3D-Scans möglich gemacht werden – hier entstehen digitale Zwillinge von Gegenständen, z.B. Schuhe oder Taschen für die ganz Großen der Branche.

Gibt es Erkenntnisse, die man praktisch als Erfolgsregeln ableiten kann? Geduld lautet eine – der Mittelstand zieht keine große Show ab, auch wenn das Produkt noch alles andere als marktreif ist – man macht die Sachen „zu einhundert Prozent perfekt, bevor man überhaupt darüber spricht.“ Nicht das, was uns sonst so als neuster Hype verkauft wird. Was zum Mittelstand passt, wo keine Investoren kurzfristige Ergebnisse verlangen.

Andererseits aber heißt es auch, dass es mitunter sehr schnell gehen muss. Technisch orientierte Unternehmen stehen deutlich mehr unter Zeitdruck, die Konkurrenz schläft nicht. Da benötigt man dann trotzdem manchmal Geld von außen und holt sich einen Investor an Bord. Die EINE Erfolgsregel gibt es nicht.

Mythos genialer Einzelgänger

Und noch ein Mythos, der hier entlarvt wird. Wir möchten so gerne an die genialen Einzelgänger glauben, die in der heimischen Garage das sensationelle neue Produkt entwickelt haben. Aber das ist ein Irrglaube. Auch die ganz Großen wie Microsoft oder Apple und Google profitierten „von den (Vor-)Leistungen des öffentlichen Sektors – Infrastruktur, Grundlagenforschung, Aufträge …“ Das vergessen sie leider später nur allzu leicht.

Bleibt noch ein schönes Beispiel für ein sehr erfolgreiches Unternehmen, das in Deutschland, genauer: In Köln-Ehrenfeld den Multis Konkurrenz macht: DeepL (Wortgewaltig). 2017 gegründet, als es schon den Google-Übersetzer gab, mauserte sich die Übersetzungssoftware zum Geheimtipp. Was man anders machte? Das Programm übersetzte keine einzelnen Worte, sondern ganze Abschnitte. Der Gründer konzentrierte sich ganz auf die Entwicklung des Produktes und verzichtete auf große Marketing-Kampagnen. Auch heute geht noch viel Geld neben der Weiterentwicklung des Produktes in die Grundlagenforschung. Noch ein Tipp aus der Erfolgsgeschichte: Mit Bedacht wachsen – nicht alles auf einmal machen. Auch nicht gerade das, was man sonst so liest …

Ach ja: Was hat das mit Zebras zu tun? Die neue Unternehmergeneration setzt sich aus Firmenerben und „klugen und engagierten Aufsteigerkindern“ zusammen, für die das Zebra steht: Schwarze Streifen für schwarze Zahlen, weiße Streifen für Purpose. „Das Zeitalter der werbebasierten Endkonsumenten-Spielereien der bisherigen Big-Tech-Unternehmen könnte damit vorbei sein …“ (S. 71). Schön wäre es.

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert