INSPIRATION: Dass man Kunst und Coaching miteinander verbinden kann, ist nicht neu. Oft wird sogar behauptet, Coaching sei eine Kunst. Das klingt geheimnisvoll und Ehrfurcht gebietend. Ganz so, als ob man es nicht lernen könne.
Der Beitrag der Autorin (Über die Schwelle gehen) fokussiert allerdings auf etwas anderes: Auf „das transformative Potenzial der Performancekunst in der systemischen Beratung“. Deshalb werden sowohl Kunst als auch Beratung als performative Praxis betrachtet. Das meint, dass beide in der Lage sind, „Wirklichkeit zu schaffen und zu transformieren“. Das Spannende daran ist: Durch Kunst als auch Beratung können gewohnte Muster unterbrochen werden. Wenn Offenheit gegenüber dem Unbekannten entsteht, können Perspektivwechsel möglich werden. Und das ist förderlich für einen konstruktiven Umgang mit dem Unerwarteten und Neuen.
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Performancekunst
Im Folgenden nimmt die Autorin insbesondere die Performancekunst in den Blick. Diese ist prozessorientiert, interaktiv und körperlich. Wer hier an Happenings, Fluxus (Joseph Beuys), Aktionskunst, Body Art denkt – oder an Tanztheater – ist auf der richtigen Spur. „Im Zentrum steht dabei die Auflösung traditioneller Grenzen: zwischen Künstler:innen und Werk, zwischen Zuschauenden und Werk, zwischen Werk und Prozess – und letztlich auch zwischen Kunst und Leben.“
Das ist nun eben keine Esoterik, also Geheimwissenschaft, sondern uralte Menschheitspraxis. Man denke an Riten in Religion und Alltag (Coaching als Ritual). „Performativ,“ so kommt die moderne Sprachphilosophie (John L. Austin, Judith Butler) zum Schluss, „beschreibt sprachliche Äußerungen, die nicht nur informieren, sondern zugleich Handlungen vollziehen und dadurch Realität schaffen“.
Und noch ein Aspekt ist hierbei interessant: Traditionell versteht man unter einem Kunstwerk etwas Dingliches: ein Bild, eine Skulptur, ein Bauwerk, was das Publikum rezipiert. Performances entstehen im Zusammenspiel aller Beteiligten, sind ohne diese nicht vorstellbar. Wie ein Chorkonzert. „Das Ergebnis ist ein Ereignis.“ Wer nicht dabei war, hat es verpasst. Die Audio- oder Videoaufnahme dessen ist bloß eine Konserve. Immaterialität nennt man das in der Dienstleistungspsychologie.
Liminalität
Doch damit wäre der Bogen zum Coaching geschlagen. Denn auch Coaching ist eine Dienstleistung. Sie geschieht im Hier-und-Jetzt, benötigt die prozesshafte Ko-Präsenz und -Produktion. Sie benötigt zudem Beziehungsarbeit, Rollenmanagement und Gefühlsarbeit (Systemisches Coaching). Worauf die Autorin jedoch nicht verweist. Sie erläutert hingegen „die Unterscheidung zwischen Inszenierung und Aufführung“. Also zwischen dem Rahmen (Partitur) und der aktuellen Umsetzung. Emergenz ist das richtige Stichwort dafür: „Konstruktion von Wirklichkeit“.
Liminalität bedeutet, dass sich dabei Zwischenräume auftun, Experimentierfelder. Explorationen, hypothetische Konstruktionen, Rollenwechsel, Simulationen. Diese werden – in der Tradition des Ethnologen Arnold van Gennep (und der Adaption durch Victor Turner) in einem Dreischritt realisiert: Trennungs-, Schwellen- und Angliederungsphase. Das erinnert an die berühmten Change-Phasen von Kurt Lewin – letztlich das uralte, schon von Aristoteles konzipierte Dramaschema: Einleitung, Hauptteil (mit Peripetie/Krise), Schluss. Also keine Neuerfindung im Rahmen der beliebten „Heldenreise“ (Integratives Persönlichkeitscoaching).
Coaching als Schwellenraum
Coaching als Drama verstanden kann transformative Prozesse ermöglichen, wenn es gelingt, in einer „Auszeit“ alte Identitäten zu hinterfragen und zu dekonstruieren, alte Muster und Regeln zu relativieren, Potenziale (Ressourcen) zu aktivieren und neue Wirklichkeiten zu erschaffen. Die Rolle des Coachs muss man dabei nicht als die eines Zeremonienmeisters konzeptionieren. Weniger magisch/religiös könnte man von einem Architekten sprechen, der eine passende Beratungsarchitektur entwirft und zur Verfügung stellt. Präziser als die Ethnologie spricht die Autorin dann von „Anliegenklärung, Künstlerische Dezentrierung und Transfer“.
Das liest sich nicht neu. Und vermeidet, genauer zu explizieren, was und wie nun die „Künstlerische Dezentrierung“ passend und erfolgreich werden kann. Dass das mitnichten trivial ist, mag man insbesondere der systemischen Literatur entnehmen. So schreibt Jürgen Kriz (Kleine Weiterbildung in Systemtheorie) treffend: „Aufgabe des Coaches ist es also nicht, ‚einfach zu verstören‘ (…), sondern solche Umgebungsbedingungen zu konstellieren, welche die zu rigiden Sinn-Attraktoren mit Deutungskomplexität anreichern und so Ordnungs-Ordnungs-Übergänge ermöglichen.“
Die Autorin präsentiert als Anwendungsbeispiel eine (Tanz-)Performance im Coaching. Das liest sich anregend, und war für mich neu. Es wären allerdings weitere Beispiele ergänzenswert: Zuallererst das Psychodrama (Drama – aber richtig). Weiterhin hypnosystemisches sowie Lösungsorientiertes Coaching. Das Thema Embodiment (Die Rückkehr der Gefühle) sowie konkret die Anwendung desselben im Zürcher Ressourcenmodell – ZRM® (Ganzheitliches Selbstmanagement) und so weiter.
Neue Perspektiven eröffnen sich halt nicht von selbst. Und wie sie sich am besten eröffnen, wäre für mich eine Frage der adaptiven Koproduktion: Maßschneiderei. Für die eine wäre es das Tanztheater. Für den anderen vielleicht das ZRM® …