PRAXIS: Das kennt man nicht nur aus der großen Politik: Wir glauben, mit unseren Argumenten im Recht zu sein und sind fassungslos, dass der andere weiterhin bei seiner Meinung bleibt. Zum Beispiel bei der Diskussion über Tempolimits. Gibt es eine Chance, ihn dennoch für unsere Sache zu gewinnen?
Naja, vielleicht nicht beim Tempolimit 😉 Aber bei kontroversen Haltungen geht es immer um die dahinter liegenden Werte. Was tun wir, wenn wir andere überzeugen wollen? Wir argumentieren aus unserer Wertehierarchie heraus. Weil bei uns Umweltschutz und Sicherheit einen hohen Wert haben, packen wir Zahlen aus, die belegen, wie stark die Emissionen sinken, wenn man das Tempo begrenzt. Und welchen Einfluss ein Limit auf die Zahl der Verkehrstoten hat.
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Und was macht der andere? Er erklärt, dass er sich seine persönliche Freiheit nicht beschränken lassen will und Spaß am schnellen Fahren hat. Er lässt sich nicht vorschreiben, was ihm Spaß machen darf.
Zwei US-Forscher (Feinberg / Willer) haben sich angeschaut, wie Menschen, die aus gegensätzlichen politischen Lagern stammen (Demokraten und Republikaner), versuchen, sich gegenseitig zu überzeugen. Sie stellten zum einen fest, die die zentralen Werte bei den Liberalen Chancengleichheit und Fürsorge, bei den Konservativen Loyalität und Gehorsam lauten.
Nun kann man sich vorstellen, was passiert, wenn ich jemandem, der Chancengleichheit predigt, erklären will, warum Frauen Männern zu gehorchen haben (um ein besonders krasses Beispiel zu wählen). Es funktioniert nicht.
Im zweiten Teil der Studie sollten die Probanden die Werte der Gegenseite in ihre Argumentation einbinden. Und siehe da, die Chance, Zustimmung zu erhalten, stieg. Um auf unser Tempolimit-Beispiel zurückzukommen: Ich würde einen Gegner des Tempolimits also eher überzeugen, wenn ich versuche, einen Zusammenhang zwischen meiner Forderung und der persönlichen Freiheit herzustellen. Indem ich zum Beispiel argumentiere, dass ein Tempolimit letztlich den Spaß am schnellen Fahren erhöht, weil dann noch der Kitzel des „Hoffentlich nicht erwischt werden“ hinzukommt.
Okay, das ist arg konstruiert, aber ähnlich seltsam klingen auch die Beispiele aus dem Beitrag (Werte im Konflikt: Wat den Eenen sin Uhl…). Aber lassen wir mal den Versuch, extreme Positionen zueinander zu bringen, außen vor: Ist es nicht wirklich sinnvoll, sich zu überlegen oder nachzufragen, was dem anderen so wichtig ist, dass er seine Position vehement vertritt? Und dann zu schauen, wie eine Alternative aussehen könnte, bei der seine Werte nicht in Frage gestellt werden?
Eine Meinung zu ändern, mag ja hin und wieder gelingen. Aber wenn jemand versucht, mir wichtige Dinge „madig zu machen“, indem er – ob ausgesprochen oder indirekt – erklärt, dass ich die falschen Prioritäten habe, werde ich wohl ganz automatisch in eine Abwehrhaltung gehen.