20. Mai 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Doppelte Wirklichkeit

INSPIRATION: Was machen Mitarbeiter, wenn die angestrebten und von der Leitung beschlossenen Veränderungen mit den übrigen Organisationszielen nicht vereinbar sind? Und was machen Berater, wenn sie feststellen, dass die neue Organisation nur deshalb funktioniert, weil die Betroffenen „illegale“ Wege beschreiten? Ein Lehrstück, veröffentlicht in der Zeitschrift Organisationsentwicklung (Die Schauseite von Veränderungsprojekten).

Die Situation in dem beschriebenen Unternehmen dürfte gar nicht so selten vorkommen. EIn Konzern gliedert einen Bereich aus (in diesem Fall das Facility-Management – „ein aufgepeppter Begriff für Hausmeistertätigkeiten“) und hat die sattsam bekannte Idee, dass die Mitarbeiter des „neuen“ Unternehmens nun eigenverantwortlich in Teams besonders kundenorientiert ihre Aufgaben viel besser als vorher bewältigen.


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Was man übersieht: Der Konzern bleibt der einzige Kunde, das „neue“ Unternehmen ist eine 100%ige Tochter und die Vorgaben innerhalb des Konzerns ändern sich auch nicht. Die Folge: Es änderte sich nicht wirklich etwas, die Kunden beklagten die gleichen Dinge wie vorher, die Teams bekamen schlechte Noten.

Also holte man ein Beratungsunternehmen ins Haus und veranstaltete jede Menge Workshops zur Qualitätsverbesserung. Und jetzt wird es spannend: Es stellte sich heraus, dass die Teams ziemlich kreativ waren, um den Betrieb überhaupt aufrecht zu erhalten. Sie fingierten Ausschreibungen an Subunternehmen, damit sie nicht durch einen langen Ausschreibungsprozess lahm gelegt wurden, sie hielten „illegale Lagerräume“ vor, die in keiner Aufstellung zu finden waren, sie deklarierten Wartungsaufträge als Notdienst, so dass sie aufwendige Verfahren umgehen konnten. Man benutzte Fahrzeuge, die eigentlich gar nicht mehr genutzt werden durften und offiziell nicht mehr existierten.

Die Berater versuchten nun, in den Workshops die Probleme zu addressieren und hatten alle möglichen Lösungsansätze zur Hand, die darauf abzielten, die Probleme nach oben zu delegieren und gemeinsam Lösungen mit der Geschäftsführung zu finden. Aber dieser waren auch die Hände gebunden, sie hätte sich mit den Konzernvorgaben auseinandersetzen und diese in Frage stellen müssen. Und man hätte viele der Probleme nur durch Abstimmung zwischen verschiedenen Vorstandsbereichen lösen können, wozu wiederum Zeit und Kapazitäten fehlten.

Also schlossen die Teams und die Berater einen „zweiten Vertrag“ – natürlich nicht offiziell. Es gab den offiziellen Vertrag mit der Geschäftsleitung, die den Auftrag vergeben hatte. Für alle Beteiligten erwies es sich aber als das Beste, wenn die Berater „aktiv am Schutz der informellen Lösungen“ mitwirkten. Was nicht so einfach war, denn schließlich hatten sie ja den Auftrag, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Sie mussten einen Nachweis erbringen, dass die Workshop einen Nutzen stifteten. 

Der Trick, der offenbar immer wieder funktioniert: Man verlegte sich auf die Berechnung des ökonomischen Nutzens. Treiber waren die internen Organisationsentwickler, die natürilch belegen mussten, dass sich der Aufwand mit den Workshop lohnte. Also entwickelte man die eine oder andere Maßnahme, berechnete, wie viel Euro sich dadurch sparen ließ oder wie viele Arbeitsstunden z.B. das Umsortieren im Lager einsparen ließen und präsentierte die Zahlen (die z.T. geradezu lächerlich klein waren und durch nicht zu belegende Annahmen zustande gekommen waren) der Geschäftsleitung. Diese war’s zufrieden, die internen Organisationsentwickler ebenso, die Teams werkelten weiter mit ihren „brauchbaren Illegalitäten“ und die Berater verkauften die Geschichte als Erfolgsstory.

Die Ergebnisse wurden in der Betriebszeitung veröffentlicht, die Berater nutzten sie in Präsentationen und Veröffentlichungen. Die Moral von der Geschichte (oder zumindest eine Moral): Eigentlich sollte aus Veränderungsprozessen ja gelernt werden. Aber der Druck für alle Beteiligten, Erfolge vorzuweisen, führt dazu, dass diese sogar systematisch verhindert werden. Dieser und ähnliche Prozesse werden „aufgehübscht“, bei Konferenzen als Musterbeispiel präsentiert und das Vorgehen als exemplarisch dargestellt. Die Berater erhalten Folgeaufträge, das Unternehmen bleibt davor bewahrt, den Misserfolg und die z.T. sogar illegalen Praktiken zugeben zu müssen. Was in der Regel ohne Folgen bleibt, es sei denn, es kommt zu öffentlichkeitswirksamen Skandalen. Ein Fazit des Autors: Wenn Unternehmensnamen bei der Präsentation oder Artikeln über Change-Projekte genannt werden, sollte man mehr als misstrauisch werden und solche Veröffentlichungen getrost zur Seite legen. Die „wahre“ Geschichte bzw. die zweite Geschichte hinter der „Schauseite“ wird man hier sicher nie erfahren.

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