KRITIK: Ich dachte, wir wüssten inzwischen ziemlich genau, woran es liegt, wenn der Wandel einer Organisation von der klassisch hierarchischen in eine agile nicht funktioniert. Unter anderem auch daran, dass die Führungskräfte nicht mitziehen. Das soll mit ihrer Persönlichkeit zu tun haben? Im Ernst?
Da erklärt uns ein Autor im Harvard Business Manager doch tatsächlich, dass (deutsche) Führungskräfte leider häufig das falsche Persönlichkeitsprofil aufweisen (Person schlägt Prozess). Angeblich hat sein Unternehmen, das Persönlichkeitstests auf Basis des Big-5-Modells anbietet, herausgefunden, dass unter 5.000 getesteten Führungskräften 30% eine sehr hoch ausgeprägte Gewissenhaftigkeit zeigen (während der Wert in der Gesamtbevölkerung bei 10% liegt). Das Merkmal Offenheit ist nur durchschnittlich ausgeprägt, wie auch im Rest der Bevölkerung. Bei der Verträglichkeit sieht es wieder finster aus: 40% der Manager liegen hier im unteren Bereich. Die Erklärung liegt auf der Hand: Karriere machen in hierarchischen Organisationen eher diejenigen, die ihre Ellenbogen benutzen, Status schätzen und anstreben und den Wettbewerb mögen.
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Gewissenhaftigkeit
Genau diese drei Merkmale aber seien von Bedeutung, wenn es darum geht, auf agile Arbeitsweisen umzustellen. Zu viel Gewissenhaftigkeit schadet, weil sie mit Perfektionismus und Kontrollbedürfnis einhergeht. Da fällt es schwer, loszulassen und zu vertrauen, dass die Teams es schon richten werden. Wer nur durchschnittlich offen ist, der ist natürlich auch nicht besonders offen für Neuerungen. Und wer sich durchsetzen und gewinnen will, der fühlt sich in selbstorganisierten Teamstrukturen natürlich nicht wohl.
Was heißt das nun? Sie ahnen es: Bei der Besetzung von Stellen sollte man die Persönlichkeit stärker berücksichtigen, also entsprechende Tests einsetzen. Bei der Transformation sollte man das Tempo des Prozesses den vorhandenen Persönlichkeiten anpassen (dafür muss man sie natürlich kennen, also testen) oder die wichtigen Führungspositionen neu besetzen.
Natürlich fehlt es an wissenschaftlichen Belegen für diese Empfehlungen. Nicht einmal ein praktisches Beispiel, wo es gelungen ist, dass nach einer umfassenden Testung von Führungskräften der Wandel gelang, wird geliefert. Da wird einfach behauptet, man braucht nur die richtigen Persönlichkeiten, dann fluppt das schon mit dem Change.
Irgendwie erschütternd, dass es am Ende wieder der Einzelne sein soll, der die Innovationen verhindert – dieser Blick auf das Individuum statt auf das System ist nicht auszurotten. Wobei niemand in Frage stellt, dass man kaum erwarten kann, wenn einer Generation von Managern versprochen wurde, sie könnten stetig im Rang aufsteigen und „Karriere machen“, diese sich natürlich schwer tun, wenn man ihnen nun mitteilt: „Ätsch, das war gestern!“ Und dass nicht alle den Weg mitgehen werden, ist auch klar. Aber zu sagen: „Sorry, Sie haben das falsche Persönlichkeitsprofil, das stört beim Wandel!“ ist mehr als schräg. Wenn es denn überhaupt eine Rolle spielt.