INSPIRATION: Tiefrote Zahlen, ein gescheiterter Verkauf, eigentlich kaum noch konkurrenzfähig – und dann 800 Millionen investieren, um aus eigener Kraft den Umschwung zu schaffen? Wie man das in dem Traditionskonzern anging, ist mehr als beeindruckend. In einem umfangreichen Werkstattbericht schildern zwei Verantwortliche im Harvard Business Manager, wie der neue CEO die Umwandlung von einem „Push- zum Pull-Management“ schaffen wollte (Transformieren, aber richtig). Das alles im üblichen MWonline-Rahmen wiederzugeben, ist kaum möglich, ich versuche, die wesentlichen Schritte zusammenzufassen.
4 Prinzipien
- Klarheit: Alle sollten wissen, wohin die Reise geht. Dazu definierte der Vorstand 16 Handlungsfelder, und für jedes wurde ein Zielzustand erarbeitet mit der Leitfrage: Was genau wird 2025 anders sein? Außerdem: Worauf werden wir stolz sein? Worum beneiden uns die Wettbewerber?
- Geschwindigkeit: Man wollte die Zielzustände mit Projekten mit einer Laufzeit von maximal sechs Monaten erreichen – längere sollte es auf keinen Fall geben. Das Motto lautete: „Es geht um Fortschritt, nicht um Perfektion.“
- Ergebnisfokus: Jedes Projekt sollte nach sechs Monaten einen unternehmerisch bedeutsamen Effekt liefern – was sich als das größte Problem herausstellen sollte.
- Disziplin: Es sollte keine Projektpläne geben, dafür einen monatlichen „Fortschrittszwang“. D.h. alle mussten jeden Monat nachweisen, dass sie bezüglich des Sechs-Monatsziels Fortschritte erzielt hatten.
Ich stelle mir vor, dass allein diese Prinzipien für ein gewaltiges Beben gesorgt haben. Dazu kam noch, dass es keine separate Projektorganisation geben sollte, keine Change Agents, keine ausführlichen PowerPoint-Präsentationen.
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Anspruchsvolles Vorgehen
Allein der Prozess der Zielbilder klingt extrem anspruchsvoll. Die Kernteams sollten für die 16 Handlungsfelder „klare, präzise, lebendige und attraktive Zielbildstorys“ fomulieren. Dabei sollte es nicht um das Wie gehen (keine Maßnahmen, keine Vorgehensweisen), sondern nur um das Was und das Wozu. Die Idee war, dass alle vor ihrem geistigen Auge denselben Film sahen, wenn von dem Zielbild die Rede war, damit eine Sehnsucht nach diesem Zustand entfacht wurde. Dazu mussten wohl etliche Schleifen gedreht werden, bis die Zielbildstorys „vor Zahlen, Daten, Fakten und Beispielen strotzten.“
Jetzt wird es komplex, denn nun wurden Zielbildpuzzles erstellt. Es ging um Einzelzielzustände, und zwar 30 bis 50 pro Handlungsfeld. Die Idee: Ein solches Puzzle sollte in einem 6-Monats-Sprint umsetzbar sein. Jedes Puzzlestück musste eine Outcome- und Impact-Qualität aufweisen (Achtung: Hier kommt OKR zum Einsatz!). Wieder ging es nicht darum, das Wie, den Input, zu beschreiben. Wie eingangs erwähnt: Es sollte eine Pull-Kultur erzeugt werden.
Für die erste Runde durften nur eine Handvoll Puzzlestücke ausgewählt werden nach dem Motto: „Lieber fünf Dinge einen Kilometer vorwärtsbringen als 50 Dinge ein paar Meter.“ Dann wurde es noch einmal komplex: Nun widmete man sich den Abhängigkeiten: Was hängt mit wem zusammen? Wo gibt es Überlappungen? Zwei Tage lange diskutierten die Kernteams diese Abhängigkeiten, bestätigten, korrigierten oder ergänzten sie. Alles in allem dauerte der Prozess bis hierher drei Monate, dann standen 140 OKRs „auf der Startrampe.“ Allerdings mussten diese noch einmal mit klaren Zielzuständen und zwei bis drei Fortschrittsgrößen versehen werden, dann starteten die Projekte bzw. die Sprints.
Transparenz
Für Klarheit und Transparenz sorgten übrigens auch, dass jedes Handlungsfeld regelmäßig monatlich mit den Vorständen besprochen wurde, dabei konnte sich jede der 3.000 Führungskräfte dazu schalten, was wohl tatsächlich gerne genutzt wurde. Jeder hatte den Einblick, was passierte und wie es um die Fortschritte stand. Schlechte Leistungen konnten kaum mehr kaschiert werden, „für einige Topführungskräfte war die Transparenz schlicht ärgerlich.“
Das Ergebnis ist ebenso beeindruckend. Zwar konnten viele Teams nicht das erreichen, was sie sich vorgenommen hatten, manche hatten die Latte einfach zu hoch gehängt – aber auch das ist schließlich ein Lernprozess. Zum Zeitpunkt des Artikels hatte Thyssenkrupp Steel drei Sprints hinter sich, „die Mannschaft ist motivierter und fokussierter,“ und die wirtschaftliche Lage hat sich ebenfalls verbessert.
Zentrale Erkenntnis: Ein Top-Management, das wirklich etwas ändern will, muss eine Menge Zeit und Energie investieren. Mit dem Aufsetzen eines Projektes mit klangvollem Namen ist es nicht getan. Bleibt nur zu hoffen, dass es auch langfristig funktioniert und nicht plötzlich doch der Verkauf beschlossen wird. Man weiß ja nie …