27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Gehirnwäscherei?

KRITIK: Was kommt dabei heraus, wenn man statt eines wissenschaftlich fundierten Konzepts ein esoterisches verwendet? Eine schräge Sache. Schade eigentlich. Denn andersherum wäre man weitergekommen.

Die Geschichte geht so: Alle reden von Change. Verändern aber nur Strukturen. Das kann nicht gut gehen, wenn die Mitarbeiter nicht mitmachen. Also müssen die ihren Mind reseten. Geht’s noch? Gehirnwäsche oder was?


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„Sämtliche Strukturen, Prozesse und Instrumente, alle Zusammenarbeitsmodelle, die wir in Organisationen nutzen, entspringen bestimmten Haltungen und Wertesystemen,“ so die Autorinnen Joana Breidenbach und Bettina Rollow (Mismatching Mindsets). Schon zu Beginn des Beitrags der Ethnologin und Spenden­-Plattform-Gründerin sowie ihrer Koautorin, der Organisationsentwicklerin und Coach, kann man in tiefes Grübeln verfallen. Um nach einigem Nachdenken mit einem begründeten Nein auf den Lippen wieder aufzutauchen: Da springt nichts …

Organisationskultur

Die Zusammenarbeit ist Ausdruck der Organisationskultur. Und diese ist, ich argumentiere jetzt gegen die Autorinnen, in den Worten des Philosophen SJ Schmidts ein spezifisches „Problemlöseprogramm“, das sich im Laufe der Zeit in der konkreten Zusammenarbeit herausgebildet hat. Man kann es auch als ein kollektives Wahrnehmungs-, Interpretations- und Handlungsmuster bezeichnen: So denken, fühlen und handeln wir hier bei XY. Individuelles Denken, Fühlen und Handeln wird von der Kultur strikt dominiert. Die Einzelne muss sich anpassen, wird eingenordet, sonst fliegt sie raus – oder kommt erst gar nicht herein. Und doch können einzelne Individuen, wenn sie es geschickt anstellen, kulturverändernd wirken (Am Lagerfeuer). Das eingangs gebrachte Zitat ist also „kriminell“ einseitig, der Blick geht nur aufs Individuum – und bleibt dann dort kleben. Der Einzelne mit seinen Haltungen und Werten – oder neudeutsch: seinem Mindset – ist entscheidend.

Nun beschreiben die Autorinnen im nächsten Schritt drei Organisationsmodelle, das funktionale, das agile und das kompetenzbasierte. Um es gleich vorwegzunehmen, diese Unterteilung findet sich nicht in der wissenschaftlichen Managementliteratur, sondern scheint eine Eigenschöpfung zu sein:

  • Funktionale Hierarchien – Umfeld für Leistungsorientierte. „Zielorientierung, Leistung, Effizienz und Optimierung“ sind hier wichtige Werte. Man denkt unweigerlich an Taylorismus und das Bürokratiemodell. Und an dessen Defizite: die fehlende soziale Seite.
  • Agile Zusammenarbeit – Spielwiese für kreative Kooperative. Kundenorientierung und iteratives Experimentieren in selbstorganisierten Teams sind hier wichtige Werte. So kann so einiges an Nest-, aber auch an Reibungswärme entstehen. Vielleicht beginnt man, sich wieder über Regeln abzusichern, oder es wachsen Schattenhierarchien heran.
  • Kompetenzbasierte Hierarchien – Biotop für gefestigte Flexible. „Wenn wir davon sprechen, dass Menschen kompetenzbasiert handeln, dann definieren wir ‚Kompetenz‘ nicht als reine Fachexpertise, sondern als eine Mischung aus Fähigkeiten, Motivation und emotionaler Reife, die sich darin zeigt, ob der Mensch Komplexität bewältigen und Prozesse auf einer Metaebene reflektieren kann.“ Es soll nichts weiter sein als „ein neues Lebensparadigma“.

Einmal abgesehen von der holzschnittartigen und teilweise eigenwilligen Darstellung (s. Kompetenzdefinition), wird hier ein simpler Dreischritt – These, Antithese, Synthese – offensichtlich. Der aber nicht trägt. Es wird eine Karikatur von Agilität (Antithese) mit einer „reifen“ Form der Agilität (Synthese) kontrastiert. Carsten Schermuly (Mit Empowerment zu New Work) betont schon lange die Kompetenz als einen Empowerment-Aspekt – neben Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung und Einfluss. Was also wollen uns die Autorinnen mit dieser Kategorisierung sagen?

Das Innenleben der Menschen

Vielleicht war das alles nur Vorgeplänkel? Jetzt kommt eine harte Wende: Es gibt eh nur Mischformen! Wer hätte das geahnt? „Doch die Beispiele machen deutlich, dass nicht alle Modelle zum Innenleben aller Menschen passen.“ Sorry, die Damen, was soll das nun werden? „Wobei wir nicht nur das Innenleben Einzelner meinen, sondern auch die impliziten Werte, Regeln und Normen, die die Mitglieder einer Organisation teilen (!), also die Unternehmenskultur.“ Wie soll ich mir das vorstellen?

Die Autorinnen kommen schließlich mit einer Metapher um die Ecke, mal schauen, ob es das klarer macht: „Es gibt viele Betriebe, deren Organisationsmodell zwar in sich schlüssig konstruiert ist, in denen die Zusammenarbeit aber dennoch nicht funktioniert – weil die Organisation einen Rennwagen gebaut hat, ohne genügend Rennfahrerinnen im Team zu haben. Oder, anders ausgedrückt, weil das Außen (das Organisationsmodell) nicht mit dem Innen (den Werten, Einstellungen, Präferenzen, Kompetenzen der Mitarbeitenden) kongruent ist.“ Danke, liebe Autorinnen, das macht es klarer: Vergleiche hinken, aber dieser hinkt gleich auf beiden Beinen. Es sind wieder die armen Mitarbeiter, denen es an der richtigen Haltung fehlt. Predigt ruhig weiter, die Haltung wird derweil nicht wie Manna vom Himmel regnen. Davon mag in der Bibel die Rede sein. Doch ob es sich seinerzeit tatsächlich so zugetragen hat, steht auf einem anderen Blatt.

Buzzword: Haltung

Also die Mitarbeiterinnen: Ihnen soll die „richtige Haltung“ fehlen (Das gewisse Etwas). Denn Innen und Außen müssen zueinander passen. Und deshalb braucht es „Inner Work“. Logisch, oder? Wir brauchen „einen psychologischen Reifungsprozess, infolge dessen Menschen lernen, die Welt tiefer wahrzunehmen und zu fühlen.“ Mein lautes Fluchen an der Stelle erspare ich meiner Leserschaft. Meines Erachtens müssen Maßnahmen an ganz anderer Stelle ansetzen. Am allerwenigstens brauchen wir „Psychohydraulik“ von Leuten, die keine Ahnung von Psychologie haben!

Aber, ich bin meiner Leserschaft natürlich noch eine Erklärung schuldig: wissenschaftlich fundiertes Konzept versus esoterisches. Die Autorinnen berufen sich auf das Vier-Quadranten-Modell von Ken Wilber. Der als Esoteriker kritisierte Autor kreuzt die Dimensionen Individuum/Kollektiv und Innen/Außen und erhält dann eine „praktische“ 4-Feldertafel: Haltung und Psyche, Verhalten und Fähigkeiten, Kultur und Kommunikation sowie Strukturen und Prozesse. Ich sage es mal lapidar: Man kann alles Mögliche mit irgendwem kreuzen, ob es sinnvoll ist und Früchte trägt, werden wir dann sehen – und diskutieren.

Competing-Values-Ansatz

Das wissenschaftliche Modell hat große Ähnlichkeit mit dem Wilbers, liefert aber entscheidende Unterschiede. Auch hier werden zwei (bipolare Werte-)Dimensionen im rechten Winkel zueinander positioniert:

  • Struktur: flexibel vs. stabil
  • Blickrichtung: intern vs. extern

Dieses, schon in den 1980er-Jahren in der Wissenschaft vorgetragene Modell (Competing-Values-Ansatz), resultiert in 4 kulturelle Orientierungsmuster:

  • Clankultur – flexibel/intern: Unterstützungsorientierung – Partizipation, Kooperation, Vertrauen, Selbstverwirklichung
  • Adhocracy – flexibel/extern: Innovationsorientierung – Offenheit für Veränderungen, Experimente, hohes Engagement
  • Hierarchie – stabil/intern: Regelorientierung – Autoritäten, Prozeduren, Arbeitsteilung, Routinen
  • Marktkultur – stabil/extern: Zielorientierung – Rationalität, Zielvereinbarungen, erfolgsabhängige Belohnung

Dieser, von Daniel Denison empirisch weiter erforschte Ansatz, stellt heute den „State of the Art“ dar (Organizational Culture and Coaching). Er kann sehr schön erklären, wie sich Organisationen kulturell unterscheiden lassen. Man benötigt hierfür kein spekulatives „Innen“. Und auch keine Mindset-Hydraulik. Was wir bekommen, ist eine Diagnose und Diskussionsgrundlage. Und wenn es um die Veränderung von Organisationskulturen geht, hat schon vor Jahren Christine Grubendorfer klare Hinweise geben (Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur).

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