INSPIRATION: Es gibt sicherlich viele Jobs, die wenig Wertschätzung erfahren, obwohl die Gesellschaft sie zum Funktionieren benötigt. Es gibt offensichtlich auch solche, die verschämt versteckt werden, von denen wir möglichst wenig erfahren sollen. Die Rede ist von „Content Moderatoren“. Das sind Menschen, die von den großen digitalen Plattformen beschäftigt werden, in Call Center-artigen großen Büros in Ländern mit geringem Lohnniveau sitzen und im Schichtdienst unliebsame Inhalte löschen. Eine Medienwissenschaftlerin hat sich mit ihrer Situation beschäftigt, und was sie beschreibt, ist grausam (Die Ausputzer des Internets).
Die Tätigkeit muss man sich ungefähr so vorstellen: Die Mitarbeiter, die in der Regel in outgesourcten Unternehmen angestellt sind, erhalten gemeldete Inhalte auf dem Bildschirm angezeigt. Dann entscheiden sie auf Basis der Richtlinien und mehr oder weniger ausführlicher Kontextinformation nach eigenem Ermessen, ob sie den Text, das Bild oder das Video löschen. Manche dieser „Moderatoren“ sind auf bestimmte Inhalte spezialisiert – man mag sich kaum vorstellen, was das wohl sein wird.
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Die „Müllabfuhr“ des Internets
Hinzu kommt, dass die Technik oft veraltet ist, was dazu führt, dass es eine Weile dauert, bis die Inhalte verschwunden sind – also müssen sie diese länger als unbedingt nötig anschauen. Ist der Inhalt verschwunden, wird der nächste angezeigt. Und so geht das den ganzen Arbeitstag. Bezahlt werden sie in der Regeln nach „Produktivität“, was in diesem Fall bedeutet: Nach der Anzahl der Einträge, die sie bearbeitet haben. Dazu gibt es Kontrollen, d.h. der Vorgesetzte überprüft stichprobenartig, ob die Entscheidungen korrekt waren – nach seinem Ermessen.
Die Tätigkeit ist für die Unternehmen zwar wichtig (schließlich können üble Inhalte dem Image schaden, Werbetreibende vergraulen oder rechtliche Probleme erzeugen), aber natürlich auch extrem lästig. Entsprechend schlecht bezahlt wird sie, und sie hat einen extrem schlechten Stellenwert. Klar, dass hier auch nicht sonderlich in neue Technik investiert wird. Wer nun denkt, das könnten doch intelligente Algorithmen übernehmen, der wird enttäuscht: Diese können höchsten Routinefälle übernehmen, Spam aussortieren, der schon bekannt ist.
Sündenfresser
Auch ganz bitter: Die Menschen, die dort arbeiten und sich als „Sündenfresser“ oder „Müllabfuhr“ bezeichnen, benötigen eigentlich eine ziemlich große kulturelle und sprachliche Kompetenz. Sie müssen z.B. bestimmte Symbole erkennen, die für Nazi-Inhalte stehen. Was ihre Arbeit auch erheblich aufwerten könnte: Sie erkennen sicherlich Trends und Entwicklungen viel schneller als andere. Sie könnten die Unternehmen, aber auch die Gesellschaft warnen, wenn neue Bösartigkeiten das Netz überschwemmen. Oder sie könnten helfen, die Regeln zu verbessern. Sie könnten auch Ideen beisteuern, wie man den ganzen Müll, den der „menschliche Selbstausdruck“ produziert, auf sinnvolle Weise entsorgen könnte. Aber solche Rückkopplungen gibt es nicht. Die „Sündenfresser“ tun nichts anderes, als stupide die Regeln so gut es geht umzusetzen.
Ginge es auch anders? Sicher. Man könnte ihnen moderne Technik zur Verfügung stellen, ihr Wissen nutzen, sie vor allem besser bezahlen. Von psychologischer Betreuung ganz zu schweigen. Man könnte auch die Spielregeln ändern. Es gibt ja Netzwerke, in denen Community Manager streng darauf achten, dass Regeln eingehalten werden. Und sie schließen jene aus, die gegen die Regeln verstoßen. Sie haben eine echte Autorität, übernehmen Verantwortung. Aber dazu müsste man vermutlich das Geschäftsmodell ändern, daran dürften die großen Anbieter kein Interesse haben.
Ach ja, das Geschäftsmodell. Es wäre vielleicht an der Zeit, „die Konzeption von Social-Media-Plattformen generell zu überdenken.“ Die Forscherin stellt die Frage, ob „wir wirklich diese leeren Gefäße, in die Menschen Beschimpfungen, politische Streitigkeiten, Desinformation, Propaganda, Rassismus, Freuenfeindlichkeit und anderen Müll hineinkippen“, wollen. Tja, wollen wir das?