INSPIRATION: Mal angenommen, Sie hätten etliche Jahre Berufserfahrung und würden gerne etwas ganz Neues machen. Ihnen fällt eine Stellenanzeige ins Auge, in der Quereinsteiger gesucht werden. Diese sind zur Zeit sehr begehrt, weil es an allen Ecken an Personal mangelt. Aber dann lesen Sie die Anforderungen und sind erschüttert.
So ähnlich ergeht es offenbar etlichen Menschen. Warum? Weil die Unternehmen die Idee mit den Quereinsteigern zwar chic finden, aber gleichzeitig jede Menge formaler Qualifikationen fordern, z.B. Hochschulabschlüsse auf Masterniveau, am liebsten in BWL oder Wirtschaftsinformatik, dazu fundierte SAP-Kenntnisse und Erfahrungen in allen möglichen Anwendungen. Da fühlt sich der interessierte Quereinsteiger schon „eher veralbert.“ Wobei sich die Stellenanzeigen mit dem Begriff „Quereinsteiger“ im Titel von 2017 bis 2021 mehr als verzehnfacht haben (Der Kampf um die Quereinsteiger).
Was ist das Problem? Eigentlich ist der Ansatz völlig richtig. Eine Studie aus Australien zeigt, dass Quereinsteiger ein Jahr nach dem Wechsel deutlich zufriedener sind. Warum schreckt man sie dann mit praktisch unerfüllbaren Anforderungen eher ab? Weil es so üblich ist, zunächst auf die fachlichen Dinge zu achten. Und natürlich auf Zertifikate. Die Leistungen im bisherigen Berufsfeld lassen sich nicht so einfach abbilden wie ein Hochschulzeugnis, egal wie sorgfältig jemand seinen Lebenslauf pflegt. Und selbst wenn: Dinge wie Neugier, Einsatzbereitschaft, Lebenserfahrung, Verkaufstalent, Umgang mit Kunden usw. – wie soll jemand diese nachweisen?
Unerschütterliche Zertifikatsgläubigkeit
Man geht also ein vermeintliches Risiko ein, wenn man jemanden einstellt, der wenig Ahnung von der im Unternehmen verwendeten Technik oder IT hat oder dessen Erfahrungen mit Kunden aus einer ganz anderen Branche stammen. Und Risiken gehen Personaler nicht so gerne ein, weil sie sich anschließend von der Fachabteilung nicht vorwerfen lassen wollen, die falschen Leute eingestellt zu haben. Bei Quereinsteigern können sie dann nicht nachweisen, dass die Bewerber alle erforderlichen Qualifikationen vorgelegt hatten.
Was tun? Natürlich gibt es Anbieter, die per künstlicher Intelligenz und entsprechender Software aus den Angaben der wechselwilligen Quereinsteiger Profile erstellen. Die Idee ist alt: Man nehme das Ergebnis dieser „Tests“ und vergleiche es mit den Anforderungen. Ist doch bestens: Dann hat der Recruiter etwas in der Hand, wenn es schon kein entsprechendes Zeugnis ist.
Es gibt aber auch Firmen, die die begehrten Fachfremden mit einer Ausbildung anlocken. Oder gleich ein eigenes Weiterbildungszentrum errichten, wo die neuen Kollegen mit der Praxis konfrontiert werden und Arbeitsproben abliefern können. Klar, das ist aufwendig, aber damit können beide Seiten am besten erkennen, ob die ungewohnten Aufgaben passen. Anderen Firmen bleibt gar nichts anderes übrig, sie müssen ganze Belegschaften zu Quereinsteigern machen, Stichwort Automobilindustrie und Elektromobilität.
Gute Zeiten also für die alle, die sich von ihrer bisherigen Tätigkeit verabschieden wollen. Sie sollten sich nicht abschrecken lassen von den utopischen Anforderungen in den Stellenanzeigen, die nur belegen, wie heillos überfordert so mancher Arbeitgeber mit der Situation ist. Und sich stattdessen nach Unternehmen umschauen, die weniger auf formale Qualifikationen Wert legen, sondern auf das achten, was man bisher geleistet hat.