INSPIRATION: Das ist radikal, und käme es nicht von einem ausgewiesenen Management-Experten, würde man es vielleicht als verrückt abtun. Dabei denkt Gary Hamel nur das konsequent zu Ende, was ziemlich naheliegend ist. Hierarchie ist gleich Bürokratie und als Organisationsmodell überholt.
Wieso das? Weil die traditionelle Hierarchie nur solange nützlich war, wie „alle Informationen von unten nach oben fließen, damit jemand an der Spitze die Entscheidungen trifft.“ („Werdet wütend!“) Das hat zu einer Bürokratie geführt, die so alt und etabliert ist, dass wir uns an sie gewöhnt haben und uns eine Organisation ohne sie gar nicht vorstellen können. Und bedeutet, dass die Trennung von Denken (oben) und Handeln (unten) immer noch existiert. Für Hamel ist das ein Problem vergleichbar mit „Feudalismus, Sklaverei oder die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern“.
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Starker Tobak, und natürlich führen diese Äußerungen unweigerlich zur Frage, wie denn wohl die Alternative aussehen könnte. Man ahnt es: Statt hoch verzweigter Organigramme nur noch kleine Einheiten, die wie Mini- Unternehmen im großen Verbund miteinander kooperieren, „nach Belieben untereinander handeln oder externe Waren und Dienste einkaufen können … ein Ansammlung lose verbundener Einheiten.“
Ich gestehe, dass es mir ähnlich wie den meisten geht, die einmal in einer großen Organisation gearbeitet haben: Wie soll das gehen? Ist es nicht gerade der Vorteil einer Organisation, dass man eben nicht mehr ständig mit jedem handeln und verhandeln muss, sondern dass es Standards und Vorgaben gibt? Wo kämen wir hin, wenn plötzlich jedes Team selbstständig losrennt und seine Bleistifte selbst kauft, die Gehaltsabrechnung statt durch die eigenen Personaler durch externe Anbieter erstellen lässt und – ach du Schreck – neue Teammitglieder selbstständig einstellt.
Braucht es da nicht ein zentrales Controlling? Instanzen, die darüber wachen, dass alles möglichst effizient und gemäß den Richtlinien abläuft? Braucht man nicht, denn die Informationen, die dazu nötig sind, stehen heutzutage jedem zur Verfügung. Das ist die Voraussetzung, um die klassische Hierarchie abzulösen: Freier Zugang zu Informationen, ohne Zeitverzögerung, und die Möglichkeit, diese für Entscheidungen in den „Mini-Unternehmen“ zu nutzen. Die Digitalisierung also als Katalysator für das Ende der Hierarchie.
Gibt es so etwas schon? Ja, sagt Hamel, der chinesische Haushaltshersteller Haier funktionert so. 30.000 Mitarbeiter sind auf 2.000 Mikro-Unternehmen aufgeteilt. Der Vorstandsvorsitzende hat vor Jahren schon als Ziel formuliert, jeden Mitarbeiter zum Chef zu machen. Ein chinesisches Unternehmen, das all das, was hierzulande so langsam gesellschaftsfähig wird, schon länger praktiziert?
Ich kann diese Angaben nicht überprüfen. Aber der Trend scheint mir eindeutig in diese Richtung zu gehen. In der gleichen Ausgabe der Brandeins wird über den Turnaround bei der Heidelberger Druckmaschinen AG berichtet (Und immer an den Kunden denken!). Dort ist man zwar noch meilenweit von einem solch radikalen Ansatz entfernt, aber hier ist von einem Kulturwandel die Rede. Von einem Unternehmen, das nahezu unantastbar schien, bis sich die Welt veränderte und den Konzern dem Abrund nahebrachte.
Heute sitzen Software-Entwickler und Montageplaner an einem Arbeitsplatz, gemeinsam mit Kunden werden Produkte und Dienstleistungen entwickelt und Änderungen direkt umgesetzt. Man wartet nicht mehr auf Entscheidungen von oben, Hierarchieebenen werden reduziert, weil sie nicht mehr benötigt werden.
Noch einmal: Ob das mit dem Verbund vieler kleiner Unternehmen aus 15 bis 20 Mitarbeitern funktionieren kann – die Vorstellung fällt auch mir schwer. Um die alten Systeme zu ändern, schlägt Hamel drei Schritte vor:
- Wütend werden! Eine Revolution beginnt nicht mit rationalen Argumenten, sondern mit moralischer Entrüstung.
- Mit Daten wappnen! Moralische Entrüstung überzeugt nicht, sondern erzeugt nur die notwendige Energie. Daten überzeugen das Management und die Eigentümer.
- Neue Prinzipien entwickeln, und die werden nicht mehr Standardisierung und Hierarchie heißen, sondern Experimentierfreude, Transparenz und mehr Marktdenken.
Und wenn Sie in einer „alten“ Struktur stecken, dann hat Hamel auch einen Rat parat: Finden Sie Kollegen, die ähnlich wie Sie denken und sich aufregen, dann starten Sie ein Experiment, testen ein paar einfache Hypothesen und legen los. Das geht auch ohne Zustimmung des Chefs.
Zur Not sucht man sich halt eine andere Organisation…