23. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Lieber Neugier statt Noten

INSPIRATION: Selten habe ich die Ausgabe einer Zeitschrift von vorne bis hinten gelesen. Beim Schwerpunkt „Bildung“ der Brand eins war es soweit. Das Ergebnis ist ernüchternd und ermutigend zugleich – wobei die Ernüchterung überwiegt. Was wir hierzulande unter Bildung verstehen, ist ein „Aufeinanderstapeln von Abschlüssen“. Höchste Zeit, dass sich etwas ändert – nur leider sieht es so aus, als seien Veränderungen auf diesem Gebiet in weiter Ferne. 

Woran es krankt, weiß man schon lange. Es beginnt bei den Eltern – wenn diese keinen höheren Abschluss haben, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder einen solchen erreichen. Wer früh eingeschult wird, der schneidet auch Jahre später bei standardisierten Tests schlechter ab als andere (Du kannst das!). Vermutlich deshalb weil die Kinder am Anfang überfordert sind, deshalb schlechtere Ergebnisse erzielen und die negativen Erfahrungen verinnerlichen. Auch nicht unerwartet: Bei einer Studie in den Niederlanden war man überrascht, wie groß die Unterschiede bei den Schulabbrüchen zwischen den Schulen waren. Dort hat man von staatlicher Seite reagiert und viel experimentiert. Den größten Effekt hatte ein landesweites Mentoring- und Coaching-Programm für Jugendliche, heute hat die Niederlande mit 5% eine der geringsten Quoten von Schulabbrechern in Europa.

Dass die Schulen eine erhebliche Rolle spielen, ist nicht verwunderlich. Wer meint, die einzelne Schule könne hier wenig ändern, irrt. Auch staatliche Schulen in Deutschland haben die Freiheit, Dinge auszuprobieren, z.B. projektorientierter und jahrgangsübergreifender Unterricht oder der Verzicht auf Noten bis zur Mittelstufe (Was muss sich tun in unserem Bildungssystem?). Zwei Themen greife ich gerne auf.

Verzicht auf Noten

Viele Dozenten und Lehrer, die ich kenne, verzweifeln an ihren Studenten oder an den Eltern der ihnen anvertrauten Kinder. Der Grund: Alles, was zählt, sind die Abschlussnoten. Kaum jemanden interessiert sich für die Inhalte, stattdessen geht es vor allem um die Frage: Was muss ich für die Prüfung wissen.

Warum? Stephan Jansen erklärt das nachvollziehbar (Anschluss statt Abschluss): Noten „sind gedacht als hochverdichtetes Feedback, das umfangreiche Vergleiche erlaubt.“ Um diesen Vergleich geht es leider nach wie vor: Unternehmen können noch so oft betonen, dass ihnen Zeugnisse und Abschlüsse egal sind, am Ende heißt es: „An irgendetwas muss man sich ja orientieren!“ Auch wenn es kleine Lichtblicke gibt: Ein großes Wirtschaftsprüfungsunternehmen in Großbritannien hat den Hochschulabschluss als Kriterium gestrichen, weil es „keine Hinweise auf eine positive Korrelation zwischen akademischem Erfolg und Leistung im Unternehmen gebe.

Auch das ist wahr: „Abschlüsse werden von Lernenden vor allem gefeiert, weil etwas endlich vorbei ist…“ Wie oft habe ich Kindern schon sagen müssen: „Ich weiß, wie unsinnig dieses Auswendiglernen ist und wie ungerecht die Noten, aber leider zählen hierzulande am Ende vor allem Abschlüsse – also musst du da durch!“

Dass Noten nicht nur lästig, sondern tatsächlich schädlich sind, ist auch bekannt. Lernen wird von den meisten mit Prüfungen verbunden – mit der völlig logischen Konsequenz, dass eben genau das gelernt wird, was in den Prüfungen abgefragt wird. Und das ist nach wie vor vor allem „Wissen“. Zwischen 15 und 22 Prozent der Schüler*innen leiden zudem unter Prüfungsangst, was sich auf die Leistungen auswirkt – ein Teufelskreis. Aber ohne Noten? Ohne Prüfungen? Stattdessen Essays, die für die man mehr Zeit hat und bei denen das Ergebnis nicht von der Tagesform abhängt?

Alternativen?

Das alles scheint undenkbar, dabei sollte sich jeder mal fragen, was er in seinem Leben schon so alles gelernt hat, ohne das am Ende eine Prüfung stand oder ihm jemand eine Note verpasst hat. Interessanter Satz: „… das Problem schein mir zu sein, dass wir die Entwicklung von Menschen immer messen wollen, und dafür haben wir uns Messinstrumenten unterworfen, die das gar nicht messen können„. Ein Harvard Professor erklärt, dass von ihm nach wie vor verlangt wird, eine Zahl zu vergeben, aber er sich nicht mehr daran hält. Er beschreibt nur noch mit Worten, was jemand gut kann und wo er noch nachbessern könnte. Scheint auch zu gehen (Prinzip Kindergarten). 

Aber statt mit dem Notenunsinn aufzuhören, wenn es ins Berufsleben geht, müssen sich nach wie vor viele Menschen auch im Job von anderen mit diesem „hochverdichteten Feedback“ herumschlagen. Bitter.

Eine Empfehlung, wie man statt sich an Abschlüssen zu orientieren, die geeigneten Bewerber erkennt, liefert Stephan Jansen, seines Zeichens Hochschullehrer: Statt nach der Note zu schauen, lieber fragen: „Was willst du für uns lernen?“ 

Projektlernen

Bei Volkswagen hat man offenbar verstanden, dass man wegkommen muss von der Vermittlung von Lernstoff durch Experten, weg vom Klassenraum, vom Frontalunterricht. Gibt es nicht mehr, dafür Freiräume fürs Entdecken. Bei der Ausbildung der Elektro-Berufe hat man völlig Neues gewagt. Auf einer Projektfläche stehen Tische mit Material, jeder Tisch steht für ein Projekt. Diese können sich die Auszubildenden selbst aussuchen – und das Wissen bzw. die Fertigkeiten, die sie zur Bewältigung benötigen, müssen sie sich bei der Bearbeitung aneignen. Was selbst bei den klassischen Fachthemen plötzlich kein Problem mehr zu sein scheint. (In Wolfsburg viel Neues).

Ähnliches versucht ein Mathematik- und Physiklehrer im Ruhestand in Kassel, der hierfür ein leerstehendes Bettengeschäft als Lernfläche angemietet hat. Eine Schule in Kopenhagen hat ihre Klassenräume komplett abgeschafft, in Finnland arbeitet man an einem Konzept für „schulfachübergreifenden Unterricht“ (Prinzip Kindergarten). Es tut sich also durchaus etwas, nur scheinen die Beispiele eher kleine Leuchttürme zu sein. 

Vielleicht noch eine letzte Erkenntnis: „Lehrkräfte, die ein gutes Verhältnis zu ihren Schülern pflegen, senken die Zahl der Abbrüche signifikant“. Es gibt eine Studie aus den USA, nach der schon wenige gute Lehrer an einer Schule die Abbruchquote senken. Wie aber „bastelt“ man gute Pädagogen? Hier gilt offenbar wie auch bei den Schülern Mentoring bzw. Coaching als wirksames Mittel – auch und vielleicht sogar vor allem für erfahrene Lehrkräfte. Hätte ich so manchem meiner Dozenten und Lehrer gewünscht…

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