KRITIK: Immer wieder ein lustiges Thema: Mitarbeitergespräche. Ich habe häufig gegen dieses seltsame „Instrument“ gewettert, inzwischen scheint sich herumgesprochen zu haben, dass man das Thema etwas entspannter angehen sollte. Mit einer gewissen Genugtuung stelle ich fest, dass die Wissenschaft erkannt hat, dass ein „Jahresgespräch“ als „Allzweckwaffe“ nicht taugt (Mitarbeitergespräche reloaded). Aus vielerlei Gründen, vor allem deshalb, weil es Führungskräfte und Mitarbeitende vor Rollenkonflikte stellt.
Wenn die Führungskraft in diesem einen Gespräch gleichzeitig aufbauendes Feedback geben, knallharte Beurteilungen erstellen, Gehaltsanpassungen verkünden, Entwicklungspläne aufstellen, Ziele vereinbaren, Vorschläge zur Optimierung von Arbeitsbedingungen entgegennehmen und vielleicht sogar selbst Feedback entgegennehmen soll – dann ist der Frust vorprogrammiert, die Unlust verständlich.
Und der Mitarbeitende? Soll seine eigene Aufgabe und Leistung reflektieren, Wünsche zur Entwicklung äußern, um Gehaltserhöhungen kämpfen, anspruchsvolle Ziele vereinbaren, die gleichzeitig aber so anspruchslos sind, dass eine Zielerreichungsprämie möglich ist – und dann auch noch die (Führungs-)Beziehung kommentieren. Und egal, wie das Gespräch verläuft, sich höchst motiviert zeigen.
Die Quadratur des Kreises
Mit anderen Worten: Nicht nur das „Jahresgespräch“ ist völlig überlastet. Hier zeigt sich auch, wie komplex die Rollen einer Führungskraft sind. Im Grunde ist beides gar nicht leistbar – weder die EINE Führungsrolle noch das EINE Gespräch.
Findige Personalentwickler haben das natürlich schon bemerkt. Und daraus einen Schluss gezogen: Wenn all das nicht in einem Gespräch machbar ist – warum dann nicht mehrere „Führungsgespräche“ führen? In dem einen geht es um Feedback, in dem nächsten um Entwicklung, in einem dritten um (Leistungs-)Beurteilung und dann womöglich noch eins zum Thema „Gehaltsüberprüfung“. Ach ja, es fehlt noch das Gespräch, das dann fällig ist, wenn die Leistung nicht stimmt, das sollte möglichst Anlass bezogen und zeitnah geschehen.
Rollenkonflikte
Arme Führungskraft, da muss man Mitleid bekommen. Zumal es vielleicht die Themen ein wenig entzerrt, aber das Grundproblem nicht löst: Die Rollenkonflikte. Man sollte sich das mal vorstellen: „Heute bin ich Ihr Feedback-Geber und Coach. Ich helfe Ihnen bei der Selbstreflexion und unterstütze Sie bei Ihren Karriereplänen. Ich sehe Sie in 5 Jahren … – wo möchten Sie selbst stehen?“ Beim nächsten Gespräch: „Heute bin ich Ihr objektiver und neutraler Beurteiler, ich sortiere Sie bezüglich verschiedener Kriterien auf einer Skala von 1 bis 7 ein.“ Und dann: „Heute stehe ich hier als Vertreter der Geschäftsleitung und verhandle mit Ihnen über Ihr Gehalt.“ Und schließlich: „Heute bin ich Ihr Teamleiter und es geht um die Ziele, die ich mit dem Team erreichen möchte und was ich dabei von Ihnen erwarte.“
Tatsächlich laufen die Empfehlungen genau darauf hinaus – ein Baukastenprinzip soll es richten. Führungskräfte sollten „unterschiedliche Gesprächsthemen und -formate kennen und anwenden können.“ Und sie sollten feste Termine für verschiedene Gespräche fest einplanen. Und welche Gespräche sollten das sein? Gespräche zur Klärung von Standards und Erwartungen, zur Gestaltung der Zusammenarbeit, zu Zielen und Ergebniserwartungen, zum Erteilen von Leistungsfeedback und zur Kompetenzentwicklung und Karriere. Dazu natürlich zeitnahe Rückmeldungen bei Minderleistungen. Und regelmäßiges Nachfragen in Sachen Bedürfnissen und Retrospektiven der Zusammenarbeit.
Uff … Zum Glück für die moderne Führungskraft tut sich inzwischen so einiges in Sachen „Aufteilen von Führungsaufgaben“. Und das lässt hoffen. Auch wenn das Jahresgespräch wohl noch nicht verschwinden wird – in Sachen Zielvereinbarung setzt sich die Erkenntnis durch, dass diese auf der Teamebene sinnvoll sind und daher auch im Team besprochen werden. Auch das Thema Feedback wird ins Team verlegt – Führungskräfte dürften es immer schwerer haben, sich überhaupt ein Bild von der Leistung und dem Verhalten einzelner Mitarbeiter zu machen. Also gibt derjenige Feedback, der am nächsten dran ist – am besten der Kunde oder die Kollegen. Auch oder sogar besonders dann, wenn jemand mal nicht so arbeitet, wie das eigentlich erwartet wird – aus welchem Grund auch immer.
Divide et impera?
Reflexion der eigenen Bedürfnisse, Erwartungen und Entwicklungswünsche kann ein Coach übernehmen, die Rolle lässt sich ohnehin kaum vereinbaren mit der der „disziplinarischen“ Führungskraft. Und schließlich das Thema Gehalt, Beförderung und Entwicklung. „Wenn ein übergeordnetes Gremium mit größerer Unabhängigkeit High Performer identifiziert und würdigt, kann die direkte Führungskraft zu allen im Team eine gute Beziehung halten.“ Witziger Satz, oder? Darin steckt die Erkenntnis, dass es mit den bisher aufgeführten Rollen kaum möglich ist, eine Beziehung zu pflegen, die einigermaßen harmonisch und leistungsförderlich ist. Außerdem die Erkenntnis, dass Führungskräfte niemals unabhängig beurteilen und verhandeln können.
Bleibt die Frage, die mir da ganz zwangsläufig kommt: Was bleibt dann noch für die erwähnte „direkte Führungskraft?“ Aber das ist ein anderes Thema …