21. Dezember 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Mythos Management

INSPIRATION: Der Manager ist ein Macher: Er nimmt Einfluss, lenkt, koordiniert und steuert. Das weiß doch jedes Kind – weil es nämlich in den Basic Assumptions unserer Kultur verankert ist. Dort, wo man nicht mehr nachdenken muss, wo es unbewusst Gültigkeit hat, wie Ed Schein es so schön in seinem Drei-Ebenen-Modell der Kultur konzipiert hat. Das ist der Ort von Mythen, so Autor Ulrich Gehmann (Management und Mythos). Dies könnte eine erste Erkenntnis beim Lesen dieses Beitrags sein, für diejenigen, die sich mit dem Verständnis dieser tiefen Ebene der Kultur immer schon eher schwergetan haben.

Nun geht der Autor noch einen Schritt weiter, indem er konstatiert: Der Mythos ist eine Idee, ein inneres Bild von der Welt, das veranschaulicht, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethes Faust). Es wird eine bestimmte Ordnung als ursprünglich gesetzt. Sie wird also nicht vorgefunden, sondern mit dem Mythos „als Brille auf unserer Nase“ (Ludwig Wittgenstein) wird sie erkannt. Der Mythos offenbart diese Weltsicht, die so als ursprünglich geglaubt werden will – und soll, man denke nur an erbittert geführte Diskussionen um die angeblich „natürliche“ Sittenordnung. Der Mythos legitimiert sich selbst und fungiert als axiomatisches Leitbild.


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Eine komplexe Mythologie unseres modernen Wirtschaftens

Konkretisieren wir das einmal, so stoßen wir auf eine komplexe Mythologie unseres modernen Wirtschaftens, die verschiedene Narrative enthält, die sich zu einem Komplex gruppieren: Die Rede vom freien Markt, vom Wettbewerb und vom Glauben an das Wachstum. Die Überzeugung von der Beherrschbarkeit der Welt (maîtres et possesseurs de la nature, heißt es bei René Descartes). Und der Glaube an die analytische Rationalität. „Das war doch immer schon so“, argumentiert der Mythos – und lügt selbstverständlich. Denn in den Jahrhunderten vor Descartes galten andere Mythen (theozentrisches Weltbild), worauf der Autor nur am Rande verweist, gar nicht erwähnt er die fundamentale neuzeitliche Kritik des berühmten Neurowissenschaftlers António Damásio, dessen Buchtitel Programm ist: (Descartes‘ Irrtum).

Das Weltbild kommt auch mit einem spezifischen Menschenbild daher: Der Mensch als egoistisches Wettbewerbswesen sowie der sozialen Schichtung: die da oben (die Fleißigen, Ambitionierten), die da unten (die Faulen, die Verzagten). Der Manager als derjenige, der die Pferde in der Manege führt. Er setzt Ordnung, funktionalisiert und diszipliniert. Letztlich ein totalitärer, zielgerichteter Anspruch: „Bezogen auf den Managementmythos ist das letztendliche Ziel – das mythische Versprechen -, eine Welt als Funktion zu erschaffen, damit die relevante Welt zu derjenigen von Organisation und Management wird, strengen Funktionalitäten gehorcht und damit planbar, ergo beherrschbar wird.“ Die Welt als ideales Artefakt. Die Natur ist bloß Ausgangsprodukt. Der Mythos fungiert so auch als Utopie. Wie sich die Urzeiten im Nebel verlieren, liegt auch das Ziel nicht auf der Hand, sondern in der Ferne als säkulares Erlösungsversprechen, als Paradies.

Kolonialisierung der Lebenswelt der Menschen

„Dieser Konnex von Wissenschaft, Technik und Kapitalismus war eine der prägenden Kräfte unserer westlichen Lebenswelt in den letzten 200 Jahren.“ Was zu einer Kolonialisierung der kompletten Lebenswelt der Menschen führte (Jürgen Habermas), die man witzelnd auf die Pointe treiben könnte: „Meditieren ist immer noch besser als Nichtstun.“ Der Autor veranschaulicht dies am Bild der Wertschöpfungskette (Input, Throughput, Output) und der damit einhergehenden Trennung von direkt wertschöpfenden (Produktion) und unterstützenden Aktivitäten (Buchhaltung, Personal). Der Output ist wertvoller als der Input. Ein Baum ist erst wertvoll, wenn er zum Möbelstück wird. Der Mensch wird erst wertvoll, wenn er zu einem Mitarbeiter erzogen wurde. Oder er zum Manager wird, der seinen Wertschöpfungsbeitrag auch lediglich indirekt erbringt.

Der Beitrag des Autors lenkt den Blick auf die Tiefenschichten unserer Kultur, dahin, wo wir im Alltag selten schauen. Denn Kultur ist ja immer das, was „normal“ ist. So wird aber auch deutlicher, woher die Werte kommen, die nach Ed Schein die zweite Ebene des Kulturmodells ausmachen, was sich letztlich auf der Ebene der Artefakte, also im Sichtbaren und Bewussten, manifestiert. Oder andersherum betrachtet: Es reicht eben nicht, E-Autos zu fahren oder ein schickes Corporate-Social-Responibility-Programm aufzusetzen. Das lässt den Mythos unberührt. Es muss sich auf einer sehr tiefen Ebene ein neuer, ökologischer Mythos entwickeln. Er steht in Konkurrenz zum alten Mythos, was permanente weltanschauliche Auseinandersetzungen zur Folge hat.

Die Tiefenschichten unserer Kultur

Damit wird aber auch deutlich, dass wir heute unsere Kompetenz schärfen müssen, um diese Tiefenebenen, die nach Schein zumeist unbewusst funktionieren, zu entdecken und – selbstverständlich nicht im Sinne eines Glaubenskriegs – zu diskutieren. Ansatzpunkte dafür gibt es viele. Picken wir mal einen pikanten heraus: In den Lehrbüchern der Arbeits- und Organisationspsychologie werden zwar Menschenbilder epochenweise diskutiert (Economic Man, Social Man etc.), doch der Ur-Mythos und der dazugehörende, geschichtliche und soziale Kontext werden kaum betrachtet, eher ausgeblendet. Man hat den Eindruck, der „Economic Man“ falle vom Himmel und verschwinde dann urplötzlich wieder, um dem, ebenfalls vom Himmel fallenden, „Social Man“ Platz zu machen. Wer so naiv ans Werk geht, dem dürfte es heutzutage recht schwerfallen, das Erstarken eines Digitalen Taylorismus (Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt) zu erkennen. Der Mythos lebt: Schauen wir ihm ins Auge!

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