KRITIK: Es gibt offenbar immer noch Wissenschaftler, die sich mit Führungsstilen beschäftigen. Obwohl es so scheint, als habe „die Führungsforschung mit der transformationalen Führung ihren konzeptionellen Abschluss gefunden.“ Natürlich ist dem nicht so, es werden immer wieder neue Stile „entdeckt“.
Zwei Professoren haben sich neuere Studien angeschaut (Transformationale Führung: What’s next?). Ich schicke mal was Ketzerisches vorweg: Statt sich anzuschauen, wie Menschen in Organisationen so zusammenarbeiten, dass sie sowohl innovativ als auch produktiv sind und dabei alle gesund bleiben, schaut die Wissenschaft (oder zumindest ein Teil der Wissenschaft) immer noch auf diejenigen, die sich Führungskräfte nennen. Angesichts der aktuellen Diskussionen um alternative Organisationsformen kommt mir das so vor, als forsche man, was eine guten Nachtwächter oder Schriftsetzer ausmacht – Berufe, die inzwischen ausgestorben sind.
Anzeige:
Die Arbeitswelt braucht agile Coachs, um Selbstorganisation, Innovation und neues Rollenverständnis zu implementieren. Die Neuerscheinung „Agiler Coach: Skills und Tools“ liefert für jeden agilen Coach eine beeindruckende Bandbreite an Grundlagen, Methoden und Werkzeugen für die Team- und Mitarbeiterentwicklung im agilen Arbeitsalltag. Zum Buch...
Na klar, das ist maßlos übertrieben, es gibt sie ja noch, diese Positionen in den meisten Organisationen. Und es gibt eben noch immer unzählige „Forscher“, die sich damit beschäftigen, was Menschen, die diese Positionen innehaben, besonders erfolgreich macht. Vielleicht sollten sie mehr darüber forschen, was erfolgreiche Dozenten, Lehrer, Trainer, Berater, Forscher von weniger erfolgreichen unterscheidet …
Gibt es etwas Neues?
Aber genug gelästert, was gibt es denn so Neues in Sachen Führungsstil? Offenbar sind sich die beiden Autoren einig, dass eigentlich der transformationale Stil der erfolgreichste ist. Und das bedeutet, mal extrem verkürzt, dass Menschen auf solchen Positionen erfolgreich sind, die
- andere durch ihre Persönlichkeit beeindrucken (Charisma)
- andere stolz machen, mit ihnen zu arbeiten (zugeschriebene idealisierte Einflussnahme)
- mit anderen über ihre Überzeugungen und Werte sprechen (idealisierte Einflussnahme)
- mit Begeisterung über Ziele sprechen (inspirierende Motivation)
- neue Wege vorschlagen zur Bearbeitung von Aufgaben (intellektuelle Stimulation)
- individuelle Bedürfnisse, Fähigkeiten und Ziele anderer erkennen (individuelle Berücksichtigung).
Erste Einschränkung: Die Faktorenstruktur ist empirisch nicht eindeutig. Zweite Einschränkung: Die Korrelation zu Erfolgsfaktoren ist kaum höher als bei der transaktionalen Führung (0,44 statt 0,39). Noch krasser: Nach einer Metaanalyse ist der Zusammenhang zur Arbeitsleistung eher mäßig (0,27), zur allgemeinen Arbeitszufriedenheit schon höher (0,42), aber sehr hoch zur Zufriedenheit mit der Führungskraft (0,80). Was zur dritten Einschränkung führt: Werden hier nicht Ursache und Wirkung verwechselt? Man ist mit seiner Führungskraft zufrieden und schreibt ihr die genannten Eigenschaften zu, unabhängig davon, ob sie diese auch wirklich lebt …
Für mich aber die gravierendste Kritik an dem Modell (sowie an allen ähnlichen Führungsstil-Modellen): Die einzelnen genannten Merkmale sind untereinander hoch korreliert, z.T. mit über 0,8. Was dann noch mehr darauf hindeutet, dass es sich hier nicht um unabhängige Faktoren handelt, sondern vermutlich eher um Zuschreibungen, was Mitarbeiter von einer Führungskraft erwarten und erhoffen.
Die Autoren führen diese Kritikpunkte auf, kommen aber am Ende zu dem Schluss, dass der transformationalen Führung insgesamt ein positiver Effekt zuzuschreiben ist. Seltsame Argumentation …
Schließlich schauen die Autoren auf Studien, die sich mit alternativen Führungsstilen beschäftigen. Es geht also um die Frage, ob diese einen zusätzlichen Erklärungsbeitrag für Führungserfolg liefern. Angeschaut wurde der authentische, der dienende und der ethische Führungsstil. Offenbar kam dabei nicht sonderlich viel heraus, wobei es darauf ankommt, wie man „erfolgreich“ definiert. Der dienende Führungsstil verbessert Arbeitszufriedenheit und Commitment zur Organisation. Die beiden anderen hatten offenbar keinen großen Einfluss auf irgendeine Erfolgsmessgröße.
Was nun? Für mich bleibt es dabei: Dass Mitarbeiter gerne mit Führungskräften zusammen arbeiten, die die oben beschriebenen Verhaltensweisen und Eigenschaften zeigen, ist ziemlich banal. Dass Organisationen mit solchen Führungskräfte auch erfolgreicher sind, hängt offenbar davon ab, wie man Erfolg misst. Weiter viel Spaß auf der Suche nach dem wahren Führungsstil!