PRAXIS: Kritisiert zu werden, tut weh. Niemand mag das, egal, wie sehr jemand von sich behauptet, dankbar für Kritik zu sein. Sicher, sie bietet die Gelegenheit, sich selbst zu hinterfragen, Dinge klarer zu sehen, Ansätze für Verhaltensanpassungen zu erkennen. Aber in dem Moment, in dem sie geäußert wird, verletzt sie.
Tipps, wie man „kritikfähiger“ wird, gibt es genug. „Kritikfähigkeit lässt sich trainieren“, behauptet dann auch die Wirtschaftswoche (Dickes Fell mit feinen Fühlern). Ist das so? Wenn ja, warum ist das so schwierig – vor allem für Führungskräfte?
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An letzteren wird eine Ursache besonders klar: Es ist die fehlende Trennung zwischen Rolle und Person. Oder besser: Zwischen verschiedenen Rollen. Kritisiert jemand meine Unpünktlichkeit, fühle ich mich als Person angegriffen, nach dem Motto: Du bist jemand, der unpünktlich ist. Bin ich vielleicht gar nicht besonders häufig, daher fühlt sich die Kritik unfair an. Aber vielleicht meint er, dass es ungünstig ist, als Chef zu spät zum Meeting zu kommen, weil das kein gutes Signal für den Rest ist – dann richtet sich die Kritik an mein Verhalten in einer bestimmten Rolle. Wohl dem, der das unterscheiden kann. Dann wäre die Konsequenz: „Okay, die Kritik richtet sich nicht gegen meine Person generell, sondern mein Verhalten als Führungskraft.“ Ob das weniger unangenehm ist?
Der Umgang mit den wunden Punkten
Ist das schon schwer genug, dann fällt der Umgang mit den eigenen „roten Knöpfen“ vermutlich noch schwerer. Die nämlich kennen viele gar nicht. Kennen sie vermutlich schon, aber können sie nicht wirklich benennen, weil es nicht gerade angenehm ist, sich mit ihnen zu beschäftigen. Diese „Triggerpunkte“ haben was mit unseren Erfahrungen zu tun, und diese wiederum prägen unser Selbstbild. Oder besser dem Idealbild unseres Selbst. Wer sich selbst als besonders souverän und gelassen sieht bzw. so gesehen werden möchte, der leidet besonders, wenn er zu hören bekommt: „Mach hier mal keinen Aufstand!“
Solche wunden Punkte dürften auch extrem schwer abzulegen sein. Helfen könnte vielleicht ein Gespräch mit einem sehr vertrauten Menschen, der einem offen sagen darf, welche roten Knöpfe er bei uns beobachtet. Mit dem Wissen darüber lässt sich hier und da vielleicht entspannter reagieren. Wenn nicht, dann zumindest im Nachgang eine Entschuldigung formulieren nach dem Motto: „Hör mal, dein Satz gestern hat mich ziemlich getroffen, weil das ein besonders wunder Punkt bei mir ist. Den schleppe ich schon lange mit mir herum und werde ihn auch nicht los. Sobald jemand darauf drückt, reagiere ich …“ Wäre schon ein echter Fortschritt.
Nicht sofort reagieren!
Apropos später ansprechen: Das ist ein Tipp, den ich auch gerne gebe und selbst versuche, immer wieder auf’s Neue zu trainieren: Nicht sofort reagieren, stattdessen „um ein klärendes Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt zu bitten.“ Auch das ist alles andere als einfach, aber klappt hin und wieder. Das geht nämlich auch noch, nachdem man bereits empfindlich reagiert hat. Man kann sich selbst unterbrechen und feststellen: „Ich merke grade, dass mir der Kamm schwillt und ich schon zu viel gesagt habe, was mir später leid tun könnte. Wäre es möglich, hier abzubrechen und zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal in Ruhe darüber zu sprechen?“
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mit einer solchen Bitte schon viel Zündstoff aus der Situation genommen wird und manchmal schon eine sachliche Fortsetzung des Gesprächs machbar ist.