30. Juni 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Ohne Ziel zuhören?

KRITIK: Eigentlich eine richtig gute Idee: Statt dem anderen mit eigenen Erfahrungen oder Ratschlägen zu seinen Problemen zu begegnen, lieber zuhören und zurückspiegeln, was man verstanden hat. Nennt sich „Aktives Zuhören“. Warum das eher doch nicht hilft, versteht man, wenn man weiß, woher der Ansatz stammt und wo er wirklich nutzt.

Was zunächst sicher stimmt ist die Feststellung, dass kaum eine andere „Technik“ so häufig in allen möglichen Trainings zum Einsatz kommt wie das „Aktive Zuhören“. Und was leider auch stimmt: Oft genug wird sie eben auch als „Technik“ vermittelt. Ob nun Autoverkäufer, Führungskräfte, Berater, Coachs – allen wird beigebracht, dass wie man das, was man verstanden hat, zum Ausdruck bringt, es mit eigenen Worten wiederholt, oder noch besser: Die Emotionen und Bedürfnisse, die man heraushört, paraphrasiert. Der andere fühlt sich verstanden, angenommen und ist entsprechend im Gegenzug umgekehrt bereit, uns zuzuhören. Wie kann man das nicht gut finden?


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In der managerSeminare erklärt Anja Niekerken, woher das Konzept ursprünglich stammt (Ziellos zuhören). Es basiert auf dem Gesprächstherapeutischen Ansatz von Carl Rogers, der in einer Zeit entstand, in der Störungen der Psyche als Folge fehlgeleiteter Triebe galten, die mit allen möglichen, mitunter wenig zimperlichen Methoden „behandelt“ wurden. Dann kam plötzlich jemand daher, der dem Patienten einfühlsam und wertschätzend begegnete und eine Reihe von Parametern des „guten Zuhörens“ formulierte (z.B. Nicht unterbrechen, Pausen aushalten, nicht werten heißt nicht gutheißen, Gefühle beobachten und ansprechen, Blickkontakt halten…).

Das funktionierte so gut, dass die Idee auf andere Bereiche überschwappte und in der Folge unter „Aktiven Zuhören“ verbreitet wurde. Problem dabei: Was Carl Rogers anstrebte, war, seinen Patienten zu helfen. Er war der Therapeut, der andere der Patient. Rogers‘ „Methode“ sorgte dafür, dass seine Berufskollegen einen anderen, besseren Zugang zu ihren Patienten bekamen, wobei das Ziel immer das Wohl des Patienten war und ist.

Was ist das Ziel, wenn ein Nicht-Therapeut „klientenzentriert“ agiert? Beim Coach sieht die Sache noch einfach aus: Er sollte und muss ebenfalls das Wohl seines Coachees im Sinn haben. Was aber ist mit der Führungskraft? Dem Verkäufer? Dem Einkäufer? Dem Kollegen? Hier darf man getrost unterstellen, dass es andere Ziele gibt, zumindest ist das Wohlergehen des anderen kaum das ausschließliche Ziel. Die Führungskraft möchte, dass der Mitarbeiter produktiv arbeitet, der Verkäufer, dass der Kunde kauft, der Kollege, dass der andere ihn unterstützt. Setzen sie nun zu diesem Zweck das aktive Zuhören ein, muss es manipulativ, aufgesetzt und unecht wirken. Und genau das passiert oft genug auch.

Man stelle sich vor, der Mitarbeiter kommt aufgeregt zum Chef, weil dieser ihm deutlich weniger Gehaltserhöhung zugesprochen hat als von ihm erhofft. Der Chef hört aktiv zu, nimmt eine zuwandte Körperhaltung ein und paraphrasiert, dass der Mitarbeiter zornig und verletzt ist. Da könnte er es dem Mitarbeiter kaum übel nehmen, wenn dieser sich vera… fühlt. Er wird genau spüren, dass er hier beruhigt werden soll. Vor allem aber: Er kommt nicht zu seinem Therapeuten oder Coach, sondern zum Vorgesetzten, der Teil seines Problems ist. 

Die Autorin in der managerSeminare empfiehlt als Alternative das „ziellose Zuhören“. Gemeint ist, dass man sich Zeit nimmt, das Gehörte erst einmal nicht bewertet, gezielt nachfragt, offen bleibt für die Argumente des anderen und nicht gleich mit Gegenargumenten kontert oder gar mit eigenen Erfahrungen gegenhält. 

All das findet man auch beim „Aktiven Zuhören“, ist aber nur ein Teil davon. Ist letzteres also in der Arbeitswelt völlig tabu? Ich finde nicht. Fragwürdig ist es tatsächlich dann, wenn es trainiert wird als Mittel, um eigene Ziele durchzusetzen. Und genau da wird es wohl auch kaum funktionieren. Aber wenn der Kollege zu mir kommt mit einem persönlichen Problem und möchte, dass ich ihm helfe, dann ist es sicher nicht verkehrt, wenn ich schon mal vom aktiven Zuhören gehört habe. Wenn der Mitarbeiter mit einem persönlichen Problem zum Chef kommt, ebenso. Aber sobald die zuhörende Seite eigene Interessen hat, sieht die Geschichte anders aus. Und genau das sollte man auch in Trainings deutlich machen.

Wobei es auch in allen anderen Gesprächssituationen sicherlich nicht schadet, bei Unklarheiten nachzufragen, möglichst nicht sofort zu werten, ausreden zu lassen und sich in den anderen hineinzuversetzen. Einfach schon deshalb, weil man auf diese Weise eher zu einer Einigung kommt. Denn immer dann, wenn beide ein bestimmtes Interesse haben, handelt es sich um eine Verhandlung, und in dieser helfen Respekt und Wertschätzung des anderen. Das Zuhören in diesem Zusammenhang ist aber sicher nicht ziellos, der Begriff führt in die Irre und ist nicht die Alternative zum Aktiven Zuhören.

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