KRITIK: Sollte Ihnen schon mal diese Geschichte über den Weg gelaufen sein, glauben Sie ihr nicht. Die Rede ist von einer angeblichen Langzeitstudie, bei der man Harvardstudenten befragt hat, ob sie sich Ziele gesetzt und diese schriftlich festgehalten hätten? Nur drei Prozent sollen die Frage mit ja beantwortet haben, und zehn Jahre später hätten sie zehnmal soviel verdient wie jene, die keine Ziele formuliert hatten. Ein klares Ergebnis – nur hat es diese Studie nie gegeben. Ein klassischer Trainer-Mythos.
Aber nur, weil die Geschichte erfunden ist, heißt das ja noch nicht, dass Ziele nicht sinnvoll sind. Allerdings sollte man genau hinschauen, denn belegt ist, dass Ziele durchaus unerwünschte Nebenwirkungen nach sich ziehen. Sie können zu erhöhter Risikobereitschaft und unethischem Verhalten führen, Kooperationsbereitschaft und intrinsische Motivation senken und den Blick verengen. Und Menschen, die extrem zielorientiert sind, werden zwar bewundert, aber können auch ganz schön nerven. Stichwort Tunnelblick.
Noch eine Nebenwirkung, die durch Experimente belegt ist: Bei Menschen, die ein gestecktes Ziel verfehlen, sinkt das Selbstwertgefühl, und sie wählen bei späteren Anlässen eher leichtere Aufgaben. Stellt sich die Frage, ob Ziele eher schaden denn nutzen.
Genialer Tipp
Und hier kommt ein tatsächlich genialer Tipp, der sich in dem Beitrag der Wirtschaftswoche versteckt (Ohne Ziele zum Ziel): Wann immer jemand daherkommt und meint, er müsse doch mit seinem Team Ziele vereinbaren, oder das Unternehmen müsse Ziele festschreiben, stellen Sie die Frage: „Welches Problem soll durch das Setzen eines Ziels gelöst werden?“ Dann stellt man schnell fest, dass Ziele häufig reiner Selbstzweck sind – macht man eben so. Steht einem gut, wenn man erklären kann, wohin man will. Investoren mögen dass, Management-Gurus auch.
Aber geht es tatsächlich ohne Ziele? Gegenfrage: Was soll ohne Ziele gehen? Eine Organisation? Sicher nicht, sie wird ja für irgendetwas gegründet. Eine Dienstleistung anzubieten, ein Produkt. Und das in bestimmter Qualität. Und wenn das Produkt existiert, dann soll es auch zu einem bestimmten Zeitpunkt geliefert werden. Alles Ziele. Die eigentliche Frage lautet vielmehr: Muss man schriftlich formulierte Ziele nach dem SMART-Prinzip vorweisen können? Brauchen Organisationen diese? Brauchen Menschen sie?
Da komme ich doch mit einem alten Beispiel. Ich kann mich ins Auto setzen und einfach losfahren. Und schauen, wo ich lande. Ich kann mir aber auch überlegen, wo ich gerne mal hin möchte. Dann habe ich ein Ziel. Das werde ich eher nicht erreichen, wenn ich mir keinen Plan mache, wie ich dort hinkomme. Brauche ich dafür einen Plan? Mit genauen Zwischenzielen? Nicht unbedingt, aber schon sinnvoll. Wenn ich sicherstellen möchte, dass ich in der mir zur Verfügung stehenden Zeit und den vorhandenen finanziellen Mitteln wirklich ankommen möchte. Dann würde die Antwort auf die geniale Frage lauten: „Mein Problem ist, dass ich schon immer einen Sportwagen fahren wollte und nicht weiß, wie ich das bewerkstelligen soll.“ Antwort: „Dann formuliere doch mal ein konkretes Ziel!“
Frage nach dem Sinn
Und die Nebenwirkungen? Klar, all die genannten können eintreten. Zu starker Fokus auf dieses eine Ziel, höhe Risikobereitschaft (Spekulation mit fragwürdigen Wertpapieren), Demotivation, wenn Teilziele verfehlt werden usw. Aber ohne ein Ziel wird das nichts mit dem Sportwagen. So wie die Manager mittleren Alters, dies sich eine Auszeit gönnen und danach zurück in den Job kommen. Formulieren sie kein Ziel für diese Zeit, kehren viele in den alten Job zurück, machen das Gleiche wie vorher und sind genau so unzufrieden (Aus.Zeit).
Aber halt: Geht es hier um Ziele? Oder vielmehr um die Frage nach dem, was mir wichtig ist? Hier liegt vermutlich die Antwort. Wenn jemand unbedingt einen Sportwagen fahren möchte, könnte die Frage nach dem Problem dazu führen, erst einmal zu klären, warum ihm genau das wichtig ist. Hat er darauf eine für sich plausible Antwort, wird ihm auch die Formulierung von Zielen helfen.
Womit wir bei Organisationen sind. Wenn Ihr Chef das Team um sich schart und die Ziele für die nächsten Monate verkündet, wären das zwei schöne Fragen: „Welches Problem haben wir, das durch diese Zielsetzung gelöst werden soll?“ Das Gesicht möchte ich sehen. Und im Anschluss: „Warum ist das wichtig?“ Werden beide Fragen so beantwortet, dass für alle klar ist, um welches Problem es geht und warum es wichtig ist, wird auch niemand mit dem Ziel ein Problem haben. Wobei man die Fragen ohnehin nur stellen wird, wenn die genannten Ziele fragwürdig sind.
Misstrauisch würde ich werden, wenn die Frage kommt: Und was kriegen wir, wenn das Ziel erreicht ist? Oder wenn schon mit der Verkündung der Ziele bestimmte Zielerreichungsprämien in Aussicht gestellt werden. Denn dann stimmt etwas nicht mit den Zielen …