26. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Persönliche Lernwolken

KRITIK: Dem klassischen Lernen im Hörsaal oder Seminarraum geht es an den Kragen. In Zukunft hat jeder von uns eine persönliche Lernwolke. Und dort lernt er nach Herzenslust, wann immer er neue Fähigkeiten benötigt und wo immer er sich gerade aufhält. Die Inhalte und Technik hierfür stammen längst nicht mehr nur von etablierten und alteingesessenen Anbietern.

Mal eines vorweg: Ich bin mir alles andere als sicher, dass es so kommt, wie die Autoren es im Harvard Business Manager beschreiben (Die Zukunft des Lernens). Aber wir sollten sehr genau hinschauen, wovon die Vertreter dieser Zukunft so alles träumen. UInd uns gut überlegen, ob wir das alles so auch wollen.


Anzeige:

Die Arbeitswelt braucht agile Coachs, um Selbstorganisation, Innovation und neues Rollenverständnis zu implementieren. Die Neuerscheinung „Agiler Coach: Skills und Tools“ liefert für jeden agilen Coach eine beeindruckende Bandbreite an Grundlagen, Methoden und Werkzeugen für die Team- und Mitarbeiterentwicklung im agilen Arbeitsalltag. Zum Buch...


Es geht in dem Beitrag speziell um die Führungskräfteentwicklung. Dass Unternehmen nicht allzu glücklich über die klassischen Formen der Weiterbildung sind, weil viel zu wenig von dem, was ihre Führungskräfte in den Programmen lernen, anschließend auch umgesetzt wird, ist sicher richtig. Das soll sich nun ändern. Und der Markt für neue Lösungen sieht viele neue Player am Start: Personalberatungen und Unternehmensberatungen zum Beispiel, aber auch etliche Start-ups. Außerdem mischen die unternehmenseigenen Weiterbildungseinrichtungen fleißig mit.

Das vierfache Versprechen

  1. Das Lernen wird personalisiert. Jeder kann auf genau die Inhalte und Übungen zugreifen, die zu ihm passen, maßgeschneidert sozusagen. Er muss sich auch nicht mehr dem Lerntempo anderer anpassen. Sondern lernt eben dann, wann er die notwendige Zeit und Ruhe hat und eben in seinem eigenen Tempo. Und kann sogar noch einen Lerncoach in Anspruch nehmen, der sich um seine persönlichen Belange kümmert.
  2. Das Lernen findet gemeinschaftlich statt. Dazu gibt es Plattformen, wie sie die sozialen Medien darstellen, dazu Videokonferenztechnik mit Chats. Jeder kann seine eigenen Erkenntnisse anderen zur Verfügung stellen, sei es als Text, Ton- oder Videoaufzeichnung. Zahlreiche Feedback-Tools helfen den Teilnehmern, sich gegenseitig Rückmeldung zu geben.
  3. Das Lernen ist in einen Kontext eingebunden. Soll heißen, dass die Inhalte mit den konkreten Aufgaben im Alltag verknüpft werden. Sei es mit den tatsächlichen Herausforderungen oder in Form von Lernprojekten. Man muss nicht mehr auf ein Seminar warten und nach einem Seminar nicht mehr auf die passende Gelegenheit, etwas auszuprobieren.
  4. Die Lernergebnisse sind transparent und können verfolgt und überprüft werden. Damit wird „eine neue Ära bei der Zertifizierung und dem Nachweis von Kompetenzen und Fähigkeiten eingeläutet,“ die unabhängig vom beruflichen Abschluss sind. Gemeint sind Mikrozertifizierungen, die fälschungssicher mithilfe der Blockchain-Technologie abgespeichert und dokumentiert werden.

Und noch etwas ganz Feines: Beim Lernen wird das Gesicht des Lernenden gefilmt, seine Augenbewegungen verfolgt und aufgezeichnet, sein Gesichtsausdruck analysiert. So erkennt die Lernsoftware, ob er bei der Sache ist, wie engagiert er ist und ob er überhaupt folgen kann. Je nach Ergebnis wird ihm der Lernstoff dann entsprechend schneller oder langsamer angeboten.

Nebenwirkungen ausgeschlossen

Auf diese Weise lassen sich dann viel mehr Menschen weiterbilden, als das in klassischen Hörsälen und Seminarräumen möglich ist. Also sinken bei all den Vorteilen auch noch die Kosten für die Unternehmen. Kein Wunder, dass die Autoren von diesen ungeahnten Möglichkeiten nur so schwärmen. Nur seltsam, dass all das keine Nebenwirkungen haben soll. Hat es natürlich, nur werden sie nicht erwähnt.

  1. Beim personalisierten Lernen besteht auch die Möglichkeit, die Lernenden miteinander zu vergleichen, was Unternehmen natürlich nur dazu nutzen, die Inhalte „genau zu justieren.“ Als ob sie nicht auch die einmalige Chance wittern, ihre wahren Talente und Lern-Stars zu entdecken und die Langsamen auszusortieren.
  2. Gemeinschaftliches Lernen und gegenseitiges Feedback: In Seminaren ist Feedback eine Chance, seine eigene Wirkung bei anderen zu überprüfen und daraus zu lernen. Hier aber wird es Ratings, Smileys, Sternchen und Punkte geben, man wird Likes sammeln und ganz viele Follower.
  3. Das Lernen in einen Kontext einzubinden, ist zweifellos der größte Vorteil der „Lernwolken“. Wenn ich merke, dass mir ein bestimmtes Verhalten immer wieder missglückt, kann ich mich einloggen, die entsprechenden Theorien lernen, die passenden Übungen absolvieren und das Verhalten sofort in der Praxis ausprobieren. Nur fürchte ich, dass es so nicht laufen wird: Die Unternehmen werden versuchen, den zu Schulenden Projekte zusätzlich zu ihrem normalen Job auf’s Auge zu drücken, um anschließend Teilnehmer vergleichen zu können.
  4. Verfolgung und Überprüfung: Der alte Traum, jetzt endlich lässt sich sozusagen in Echtzeit überprüfen, ob jemand eine Aufgabe bearbeitet, sie richtig gelöst hat und wie schnell er dabei war. Alles wird minutiös aufgezeichnet, per Blockchain dokumentiert und für immer in seine Lernbiografie aufgenommen. All das liegt dann in der persönlichen Lernwolke bereit (und natürlich nur da), wer seinen Arbeitgeber wechselt, nimmt all seine Mikrozertifikate mit und beweist so, was er alles drauf hat. Und am besten fängt man damit schon im Grundschulalter an. Kennen Sie das Buch „The Circle“? Da wird dieser Traum ziemlich gruselig beschrieben.

Lernüberwachung

Das mit der Aufzeichnung der Augenbewegungen und der Mimik ist das Sahnehäubchen. Ich erinnere mich an Versuche, per Biofeedback dem Lernenden eine Rückmeldung über seinen Erregungszustand zu geben, meines Wissens nach hat sich das nicht wirklich durchgesetzt. Jetzt wird das alles nicht mehr nötig sein. Wir werden dabei gefilmt, wie wir lernen und entsprechend mit Material gefüttert. Gleichzeitig kann man dann ja auch sofort überprüfen, ob auch wirklich derjenige vor dem Bildschirm bzw. am Handy sitzt, der da angeblich gerade Aufgaben bearbeitet.

Beim Lesen habe ich mich die ganze Zeit gefragt, warum das mit den Mikrozertifikaten nicht schon immer geklappt hat. Hätte man nicht jedem Teilnehmer am Ende eines Trainings bescheinigen können, was er geleistet hat? Hätte man nicht jedes Rollenspiel aufzeichnen können oder zumindest vom Trainer bestätigen lassen können? Warum soll das jetzt plötzlich funktionieren, bloß weil eine Maschine all unsere Aktivitäten aufzeichnet und „mitschneidet“? Ich bin jetzt schon gespannt, wie erfinderisch Menschen darin sein werden, die Technologie auszutricksen. Überhaupt bin ich sehr gespannt, was man eines Tages über diese Visionen sagen wird …

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert