INSPIRATION: So richtig zu fassen bekommt man das Thema nicht, da hilft auch die Lektüre der Brand eins zum Schwerpunkt „Zeit“ nicht. Wobei die Beiträge höchst lesenswert sind. Es liegt wohl tatsächlich am Thema. Fangen wir mal an mit der seltsamen Erkenntnis, dass die Wochenarbeitszeit immer weiter gesunken ist auf mittlerweile 35 Stunden und wir eigentlich sechs Stunden „Freizeit“ pro Tag haben. Wobei hier schon die erste Einschränkung erfolgt: Wer in Vollzeit beschäftigt ist, arbeitet im Schnitt 40,4 Stunden pro Woche, das hat sich seit 30 Jahren nicht geändert. Die die vielen Teilzeitbeschäftigten senken den Schnitt (Das Zeit-Paradox).
Dennoch: Wir arbeiten deutlich weniger als noch vor 100 Jahren, aber es fühlt sich nicht so an. Viele klagen über Stress und Zeitmangel. Woran liegt das? An uns selbst, sagt der eine „Experte“, weil wir uns die Tage so voll packen und es zulassen, dass Chefs, Kollegen und andere uns die Zeit stehlen. An der Gesellschaft, sagt eine andere Expertin. Viele Menschen haben gar keine Möglichkeit, Nein zu sagen. Wer mehr als einen Job braucht, um über die Runden zu kommen, wie ein 63jähriger in einem erschütternden Beitrag am Ende des Hefts (Ich gehe lieber schaffen), der dürfte nur müde lächeln, wenn er den Tipp bekommt, einfach andere Prioritäten zu setzen. Er trägt Zeitungen aus, verteilt Knöllchen am Badesee und putzt die öffentlichen Toiletten. Tagein, tagaus.
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Und selbst wer einen gut bezahlten Job hat, den erwarten häufig in der Freizeit andere Aufgaben, ob das nun die Kinder sind oder die pflegebedürftigen Eltern, die immer älter werden. Einerseits.
Andererseits ist da unsere Grundeinstellung zum Leben und zur Arbeit. Begonnen hat alles mit der Industrialisierung. Zeit wurde plötzlich ein knappes Gut. Je mehr man innerhalb vordefinierter Grenzen schaffte, desto mehr konnte man verdienen. Vor allem die Unternehmen. Also holten sie alles raus, optimierten, was es zu optimieren gab. Und das führte zu einem neuen Verständnis von Zeit, nämlich: Zeit als Ressource. Dieses Verständnis legen wir nicht nach Feierabend ab, sondern übertragen es auch auf die „Freizeit“.
„Sinnvoll?“
Ich oute mich hier einmal mehr: Es geht mir genauso. Dasitzen und aus dem Fenster schauen? Erlaube ich mir nicht. „Jede Minute ist kostbar und soll einen irgendwie gearteten Nutzen beziehungsweise einen bewusst arrangierten Genuss bringen …“ Ich fühle mich ertappt. Habe verinnerlicht, dass ich den Tag (sinnvoll) nutzen soll. Ein Luxusproblem, dass eben nur jene haben, die es sich leisten können? Ein Argument macht mich nachdenklich: Was wäre, wenn ich aufhöre, stets etwas Sinnvolles anzugehen und stattdessen tatsächlich aus dem Fenster schaue? Ein radikaler Gedanke: Es ist zwar nur ein kleiner Teil der Gesellschaft, der sich das leisten könnte, aber das sind die, die in der Arbeitswelt das Sagen haben, die Maschinen designen, die Quartalsziele ausgeben. Und damit erheblich zur Zerstörung der natürlichen Ressourcen beitragen. Müßiggang als Maßnahme gegen die Klimakrise? (Menschen, die nicht gehetzt wirken, gelten als suspekt).
Ach ja, und dann ist da noch die Geschichte mir der 4-Tage-Woche. Ein mittelständisches Unternehmen in Bayern hat sie eingeführt, 36 Stunden verteilt auf vier Tage, mit kürzeren Pausen, wobei das nicht für alle Bereiche passt. Und auch nicht alle mitmachen mussten und nicht mitmachten. Diejenigen, die weiter bei 40 Studnen blieben, bekommen eine Gehaltserhöhung. Ergebnis? Die Produktivität blieb gleich hoch, das Unternehmen spart am Tag, an dem die Produktion still steht, Energie, die Mitarbeiter Sprit und Wegezeit am Freitag. Diejenigen, die hier zu Wort kommen (Freitags frei) sind zufrieden.
Wie passt das zu der Erkenntnis, dass in den kommenden Jahren dank des demografischen Wandels deutlich mehr Stunden von weniger Menschen geleistet werden müssen, um die anfallende Arbeit zu bewältigen? Zwei Stunden pro Woche plus noch einmal zwei Wochen pro Jahr müssten die Deutschen aufstocken. Also keine gute Idee mit der 4-Tage-Woche? Naja, wir haben ein Heer an Unterbeschäftigten in Teilzeit, viel Potenzial bei Frauen, älteren Menschen und ausländischen Fachkräften – so manch einer würde vermutlich gerne (mehr) arbeiten (Der Zeitgeist und die Arbeitszeit).