INSPIRATION: Organisationsformen wie Soziokratie oder Holokratie werden neugierig beäugt, aber kontrovers diskutiert – und es trauen sich auch noch nicht allzu viele Unternehmen an solche Konzepte heran. Zudem fehlt es an belastbarer, wissenschaftlicher Forschung.
Die Autoren (Die agile Kreisorganisation) haben daher in Deutschland und Österreich eine Studie aufgesetzt und etwas über 100 Organisationen gefunden, die „(1) gleichberechtigtes Entscheiden in Kreisen durch Konsens, Konsent oder demokratische Abstimmung, (2) weitgehende Autonomie dieser Kreise, (3) Einsatz von formalen Regeln für das Entscheiden in den Kreisen, (4) formal verankerte bottom-up Beteiligung“ praktizieren. Aus diesem Pool haben sie ein Spektrum von 19 Organisationen ausgewählt, mit denen dann Interviews geführt wurden. Zusätzlich wurden noch Dokumente ausgewertet und teilnehmende Beobachtungen durchgeführt. Das Material wurde dann mittels Inhaltsanalyse ausgewertet, wobei sich induktiv förderliche und hinderliche Faktoren der Implementierung herauskristallisierten. Und hierbei drängte sich den Forschern die Beschäftigung mit einer alten Kontroverse auf: Das Drama der Allmende. Diese Perspektive eröffnete nun sehr spannende, neue Einblicke.
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Das Drama um die Allgemeingüter
Die Tragik der Allmende besteht bekanntlich darin, dass Einzelne Gemeinschaftsgüter übermäßig nutzen. Die Allmende wird ausgebeutet, verkümmert, versiegt mit der Zeit. Der Umgang mit der Ökosphäre ist ein gutes Beispiel dafür. „Für den Einzelnen ist es ist es leider kurzfristig rational, möglichst viel eines Allmendeguts zu konsumieren, obwohl er das Gut damit langfristig zerstört.“ Verhindern kann diese Ausbeutung, so der Gründer des Konzepts, der US-amerikanische Biologe Garret Hardin, nur staatlicher Zwang oder die Privatisierung.
Bringt man beide Konzepte, die Kreisorganisation (Sozio-, Holokratie oder Abwandlungen davon) und das Drama der Allmende, zusammen, eröffnen sich spannende Parallelen: „Kreisorganisationen wenden Prinzipien des Selbstmanagements und der verteilten Führung an. Die Autonomie der Kreise, die doppelten Verknüpfungen und die Verpflichtung zum Konsent setzen wie der Umgang mit Allmendegütern voraus, dass die Akteure ihren Egoismus zähmen und sich für die Gemeinschaft engagieren. Daraus würden alle in der Organisation langfristig Nutzen ziehen.“ Droht also den Kreisorganisationen das gleiche Schicksal wie der Ökosphäre?
Egoismus oder Gemeinsinn?
Oder ist auch ein Happy End denkbar, wie Elinor Ostrom meint? Sie hatte argumentiert, die menschliche Motivation sei vielschichtiger und die Realität komplexer als von Garret Hardin unterstellt. Und in der Tat eröffnet sich in einem Modell kollektiven Handelns, das auf dieser Einsicht basiert, eine positive Dynamik – vor allem durch die Trias Vertrauen, Reziprozität und Reputation, die sich gegenseitig verstärken. Gruppengröße, Dichte der persönlichen Kommunikation und das Wissen über frühere Handlungen der anderen moderieren das Modell.
Das kann man sich das gut am Beispiel einer gemeinsamen Dorfweide vorstellen: Man kennt sich. Man redet miteinander. Man ist darauf angewiesen, dass man sich gegenseitig hilft. Dann funktioniert das mit der Allmende. Der „Bösewicht“ kann sich also nur durch Flucht in die Stadt verdrücken. Zuvor kann er versuchen, die böse Sache durch intrigante Kommunikation zu vertuschen. Man lese den Roman „Unterleuten“ von Juli Zeh. Oder studiere die Effekte der Globalisierung. Ostrom leitet acht Governance-Prinzipien von Allmendegütern ab.
Die 8 Governance-Prinzipien von Allmendegütern
- Klar definierte Grenzen
- Kongruenz
- Regeln für gemeinschaftliche Entscheidungen
- Monitoring
- Abgestufte Sanktionen
- Konfliktlösungsmechanismen
- Anerkennung der Autonomie
- Eingebettete Institutionen
Die Wirksamkeit dieses Modells ist in kleinen Gruppen inzwischen wissenschaftlich bestätigt worden. Bleibt die Frage, ob es auch in größeren Organisationen funktioniert. Die Chance dafür stehen mehr als gut, haben wir in den acht Prinzipien doch das Betriebssystem für das Gelingen von Kreisorganisationen an der Hand. Das wird nicht ohne weiteres funktionieren, sondern nur, wenn es gelebt und gepflegt wird, so die Autoren (Die agile Kreisorganisation). Was wiederum bedeutet, es benötigt ständige Organisationsentwicklung. Aber das dürfte wohl – sowieso – bekannt sein …