KRITIK: Es ist die große Hoffnung: Man benötigt nur genügend Daten über die Mitarbeiter. Dann kann man sie an der richtigen Stelle einsetzen, eventuell noch ausbilden, so dass sie den maximalen Nutzen stiften. Nur das, was People Analytics bisher zu bieten hat, ist eher bescheiden. Was deutlich bessere Aussagen ermöglicht, ist die Analyse der Beziehungen zwischen den Mitarbeitern. Behaupten zwei US-Professoren im Harvard Business Manager (Wie Sie die besten Mitarbeiter finden).
Es klingt schon einleuchtend, wenn sie sagen, dass bisher nur Daten über persönliche Merkmale und zur Biografie gesammelt und ausgewertet werden, diese aber kaum allein erklären können, warum jemand erfolgreich in seinem Job ist. Erfolg hat viel mit den Rahmenbedingungen zu. Von daher ist die Feststellung nachvollziehbar, dass „People Analytics im vergangenen Jahrhundert nur bescheidene Fortschritte gemacht“ hat.
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6 strukturelle Muster
Natürlich wissen die Professoren auch, wie es besser geht: Man muss die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern analysieren. Diese würden zusammen mit den persönlichen Eigenschaften die Leistung am Arbeitsplatz viel besser erklären. Sie haben sechs „strukturelle Muster“ gefunden, die man verstehen muss.
- Ideenfindung: Hier sagen individuelle Merkmale herzlich wenig. Lediglich die Dauer der Betriebszugehörigkeit korreliert schwach mit der Wahrscheinlichkeit, dass ein Mitarbeiter wertvolle Ideen entwickelt. Interessanter ist die Anzahl der Menschen in unterschiedlichen Netzwerken, mit denen ein Mitarbeiter kommuniziert. Menschen mit mehr Ideen verknüpfen häufiger Informationen im eigenen Team mit denen aus einem anderen Team.
- Einfluss: Wenn man einen Veränderungsprozess anstoßen will, benötigt man überzeugte Mitarbeiter. Am besten solche, die einen starken Einfluss auf andere haben. Das sind aber nicht, wie häufig angenommen, die beliebtesten Mitarbeiter. Sondern diejenigen, die über starke Beziehungen zu anderen verfügen, die wiederum starke Beziehungen zu anderen haben. Die Autoren nennen dies „aggregierte Bekanntheit„. Anders ausgedrückt: Mitarbeiter, die Kontakte zu gut vernetzten Kollegen haben.
- Effizienz: Sie entsteht, wenn ein Team eine hohe „interne Dichte“ aufweist (die Mitglieder also intern sehr intensiv kommunizieren) sowie eine hohe „externe Reichweite“ (wenn jedes Mitglied oder viele Mitglieder auf externe Experten zugreifen kann). Die „interne Dichte“ führt zu Vertrauen und Einigkeit im Team. Sie „externe Reichweite“ sorgt dafür, dass es die notwendigen Informationen erhählt, um die Deadlines zu halten.
- Innovation: Besonders innovativ sind die Teams nicht, wenn sie die besten und kreativsten Köpfe versammeln. Sondern wenn sie aus einer Kombination aus hoher „externer Reichweite“ und niedriger „interner Dichte“ bestehen. Letzteres bewirkt, dass die Mitglieder sich eben nicht immer einig sind, der Dissens größer und die Diskussionen fruchtbarer. Und die externen Kontakte dienen dazu, Meinungs- und Entscheidungsträger außerhalb von den Ideen zu überzeugen.
- Silos: Wenn das Verhältnis von interner zu externer Kommunikation größer ist als 5 zu 1, ist die Gruppe nach außen abgeschottet, eben so ein berühmter „Silo“. Sie hat eine hohe „Modularität„. Die Gefahr, dass sich solche Gruppen mit sich selbst beschäftigen, eine eigene Sprache entwickeln und niemand außerhalb weiß, was sie machen und sie selbst nicht mitkriegen, wo die Probleme der anderen sind, ist groß. Hier gilt es, die Kontakte nach außen zu stärken.
- Verwundbarkeit: Gemeint ist, dass es mitunter in Gruppen einzelne Menschen gibt, die als einzige intensive Kontakte nach außen pflegen. Fallen diese Menschen aus oder gehen in Rente, ist die Verbindung unterbrochen, das Team ist also höchst verwundbar.
Der Haken
Gut nachvollziehbar, dachte ich beim Lesen – endlich mal ein Ansatz, der mit der Idee aufräumt, man müsse nur Daten über jeden Mitarbeiter sammeln und könnte daraus die perfekte Organisation bauen. Die Sache hat aber einen großen Haken: Wie kommt man zu den Informationen über die Beziehungsgeflechte? Die Lösung: Über den „digitalen Ausstoß„. Soll heißen: Man analysiert die Aktivitäten, die über Chats, E-Mails, Posts auf sozialen Netzwerken und andere Collaboration-Tools stattfinden. Und das muss man natürlich ständig machen, denn Menschen kommen und gehen, solche Netzwerke sind lebendig und verändern sich immerzu.
Das sei kein Problem, sagen die Autoren, solange man genügend Datenwissenschaftler hat, die im Moment aber schwer zu bekommen sind. Auch braucht man die notwendigen IT-Systeme, die fehlen noch vielen Unternehmen. Man könnte natürlich auch die Mitarbeiter befragen, aber das ist viel zu aufwändig. Und außerdem können Menschen oft schlecht einschätzen, wie stark und intensiv ihre Beziehungen und Kontakte zu anderen sind.
Datenschutz
Dass die Geschichte datenschutzrechtlich problematisch ist, sehen sie auch. In den USA weniger als in Europa. Dennoch empfehlen sie, die Mitarbeiter darüber zu informieren, welche Daten ausgewertet werden und sie dazu eine Erklärung unterschreiben zu lassen. Und sie raten dazu, jedem Mitarbeiter in einem Mentoring-Gespräch seine persönlichen Beziehungsdaten zu erläutern. Das stelle ich mir höchst interessant vor: „Herr Müller, Sie haben zu X Kollegen außerhalb ihres Teams mittelstarke, wenige interne Kontakte und Ihr Einfluss ist gering!“
Und schon fängt Herr Müller an, fleißig Mails an seine Kollegen zu schreiben, möglichst viele, egal, was drin steht. Aber auch da hat die Datenwissenschaft schon eine Idee: Man analysiert die inhaltliche Qualität der Nachrichten, wertet die Inhalte aus und die Themen, die jemand anspricht, und am Ende sind wir wieder da, wo wir oben angefangen haben: Bei der Analyse einzelner Mitarbeiter. Ich hatte schon gehofft, dass mit „Relational Analytics“ dieser Weg verlassen wird und man sich wirklich auf das Zusammenspiel der Menschen konzentriert – ein Irrtum.