2. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Spannungsfelder im Change Management

REZENSION: Martin Claßen – Spannungsfelder im Change Management. Veränderungen situativ gestalten. Handelsblatt Fachmedien 2019.

„WYSIWYG“ meint im Computerjargon „What you see is what you get!“ und dies trifft auf das hier vorgestellte Buch vollends zu: Martin Claßen kündigt schon im Buchtitel 15 Spannungsfelder im Veränderungsmanagement an, die zu beachten sind, um Veränderungen situativ zu gestalten. „Gestalten“ meint damit, die Ausgangslage professionell und überlegt selbsttätig steuern, um nicht vom ohnehin vorhandenen Veränderungsdruck „weggespült“ zu werden. Dazu lernen Jura-Studierende spätestens ab dem zweiten Fachsemester ebenso wie wortgewaltige Change-Berater und erfolgsverwöhnte Manager, dass jede (Projekt-)Situation – also jede auch Veränderungsnotwendigkeit – vom jeweiligen Einzelfall abhängt.


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Doch um diesen nun bestmöglich zunächst zu analysieren („Diagnosephase“) und dann zu modifizieren („Interventionalphase“), bietet sich eine einheitliche Grundstruktur an. Diese bewegt sich dann – wie so ziemlich alles im Leben – auf einem zweipoligen Kontinuum. Claßen verwendet für Transformationen diese Skalen:

  1. Vorgehen / Format: Disruptiv im Change-Projekt vs. evolutionäre, ständige Veränderung
  2. Bezugsgruppen: Wertschöpfende Stareholder vs. wertschätzende Stakeholder
  3. Ansatz / Haltung: Mechanisch vs. systemisch
  4. Beweglich: Agil vs. bürokratisch
  5. Umfang / Weite: Umfassend vs. fokussiert
  6. Sorgfalt / Tiefgang: Wesentlich vs. ganzheitlich
  7. Vielfalt / Breite: Vereinheitlicht vs. maßgeschneidert
  8. Geschwindigkeit: Schnell vs. behutsam
  9. Wagemut: Zuversichtlich vs. vorsichtig
  10. Anspruch / Niveau: Perfekt(-ionistisch) vs. gut genug
  11. Entscheidungen: Hierarchisch vs. partizipativ
  12. Begründungen: Quantitativ rational vs. qualitativ emotional
  13. Offenheit: Vertraulich vs. freimütig
  14. Kommunikation: Digitales Hightech vs. persönlicher Hightouch
  15. Methoden / Tools: Traditionelle „Oldies but Goldies“ vs. innovatives „New Work“

Diese Einzelpunkte werden dann entlang von Leitfragen und situativen Entscheidungsparametern erläutert. Im Kern wird dabei eine ausgeprägte Yin&Yang-Haltung deutlich, die Mediziner wiederum als „Antagonismen“ bezeichnen würden: In der [unternehmerischen] Praxis gibt es keine Eindeutigkeit, keine Schwarz-Weiß-Situationen, sondern jeweils gute Gründe für die eine bzw. die andere Seite. Andererseits darf derjenige, der etwas verändern will / kann / muss, sich nicht von der damit verbundenen Komplexität irritieren lassen. Sondern er (oder sie) sollte sich bewusst für eine der beiden Varianten in „Reinkultur“ = ganz am Ende des Kontinuums oder „wohldosiert = irgendwo dazwischen entscheiden. Dabei gilt es, mit angemessener Ambiguitätstoleranz diese Spannungsfelder auszuhalten und sich bestmöglich zu eigen zu machen. Dazu dienen im zweiten Teil des Buches diverse Kontextfaktoren von Transformationen wie „Leadership“, „Organisationskultur“ oder „Ökosystem“.

Wie ist das Buch letztlich zu bewerten? Zweifelsohne – ebenfalls wie so oft – als „Geschmackssache“, aber zumindest der Rezensent hat die Lektüre als gleichermaßen kurzweilig wie gehaltvoll erlebt. Für viele (Change-)Berater gehört es einfach / überwiegend zum „guten Ton“, regelmäßig Bücher vorzulegen, die faktisch dann eher einer mehr oder weniger versteckten Werbebroschüre für die eigene Dienstleistung entsprechen. Dies ist – allein schon wegen der unübersehbaren Seitenhiebe auf die eigene „Zunft“ – hier aber nicht der Fall: Claßen setzt seine stattliche Veröffentlichungsliste [auch, aber nicht nur zu diesen Themengebiet] mit diesem Buch ganz offensichtlich fort, weil er a) Spaß am Schreiben (und vorherigem Lesen der Werke anderer) und b) zweifelsohne eine Menge zu berichten / sagen hat. Ohne Namen von handelnden Akteuren oder konkreten Organisationen zu nennen, beschreibt er doch sehr kraftvoll und pointiert, garniert mit vielen Querverweisen, wirkt dabei aber keineswegs unnötig „akademisch“.

Andererseits, aber dies gehört auch ganz klar zum „WYSIWYG“: Das Buch und sein Autor machen unübersehbar klar, dass zwar zum Thema „Change Management“ bereits jede Menge gesagt wurde, und trotzdem „Rezeptbücher“ im Sinne von „Man nehme …“ zum Scheitern verurteilt sind. Insofern löst die Lektüre dieses Buches keine Probleme und bewirkt als solche auch noch keine Veränderung. Eine im Text angesprochene digitale „Change-Management-App“ ist mit guten Gründen weiterhin nicht zu erwarten. Vielmehr bleibt die Gestaltung und Begleitung von Veränderungsprozessen auf absehbare Zeit eine zutiefst menschliche Notwendigkeit, die durch passende Literatur bestenfalls unterstützt werden kann.

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