9. Mai 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Übervernetzung?

Die herkömmlichen Strukturen funktionieren in einer komplexen Welt nicht mehr, heißt es. Die Antwort scheint auch klar: Netzwerke. Alles wird mit allem verknüpft: Menschen, Organisationen, Dinge. Die Verheißungen sind groß: Auf diese Weise entsteht eine freie Welt. Doch vielleicht haben wir es mit der Vernetzung schon zu weit getrieben. Befürchtet zumindest der Soziologe Urs Stäheli in der Wirtschaftswoche (Netzwerken wir uns zu Tode?)

Da sind zum einen die übereifrigen „Netzwerker“, die ihre Kontakte pflegen und stolz auf eine enorme Sammlung von Visitenkarten sind. Wobei die Zeit der Visitenkartenpartys längst vorbei ist. Heute sammelt man „Freunde“ im Internet, je mehr, desto besser. Und wird von ihnen mit mehr oder weniger (meist weniger) bedeutsamen Mitteilungen zugeschmissen.
In den Business-Netzewerken sammelt man vor allem beruflich relevante Kontakte. Die man natürlich auch pflegen muss. Glückwünsche zum neuen Job, Glückwünsche zu 10 Jahren Selbstständigkeit, Daumen hoch für das neue Buch oder die aktuelle Veröffentlichung. Ich hatte schon Anfragen von Menschen, die sich einfach mal mit mir treffen wollten. Auf die Frage nach dem „wozu“ lautete die Antwort: „Ich bin begeisterter Netzwerker!?!?!“

Unternehmen, die lange sehr darauf geachtet haben, dass die Verbindungen und Informationswege entlang der vorgegebenen Organigramme verlaufen, bieten ihren Mitarbeitern Plattformen an, um sich in der ganzen Organisation zu vernetzen. Wer braucht noch einen Chef, wenn er Zugriff auf alle Experten innerhalb und außerhalb des Unternehmens hat?

Auch die Architekten haben die Macht der Vernetzung entdeckt und schufen Bürolandschaften, in denen man sich ständig über den Weg läuft, jeder zu jedem Kontakt hat, die Informationen und das Wissen frei zugänglich ist – nicht nur in der Kaffeeküche. Und schließlich werden Dinge und Daten miteinander vernetzt. Was auch immer wir tun, mit wem oder was wir in Verbindung treten, alles wird aufgezeichnet und abgelegt. So wie unser Hirn ein unfassbares Netz an Verbindungen darstellt, aus unzähligen Knotenpunkten besteht, so bilden wir selbst letztlich eine Art Knotenpunkt, ohne eine Chance, das große Ganze zu durchschauen.

Diese Übervernetzung, eine Vernetzung um ihrer selbst willen, überfordert uns jetzt schon. Statt mehr wird weniger kommuniziert. Wir haben gar keine Zeit mehr für echten Austausch, „die versprochene Flexibilität verkehrt sich in Lähmung durch unermüdliche buyness„. Höchste Zeit für eine „Entnetzung“, meint Stäheli. Was aber nicht bedeutet, zu den alten Hierarchien zurückzukehren. „Entnetzung“ will sorgfältig organisiert werden. Also schaffen die Architekten innerhalb ihrer Bürolandschaften Rückzugsräume, wo Mitarbeiter eben alle Kontakte und Verbindungen kappen und sich ganz ihrer Aufgabe widmen können. Meetings müssen auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden bis hin zur Einrichtung meetingfreier Wochen oder gar Monate.

Und das Individuum? Hat es noch eine Chance, sich dem „Netzwerkfieber“ zu entziehen? Schwierig, aber nicht unmöglich. Wir sind keineswegs gezwungen, auf allen Plattformen vertreten zu sein, überall mitzumischen. Im Ernst: Mit wie vielen Menschen kann man tatsächlich auf eine Art verbunden sein, die einen fruchtbaren Austausch ermöglicht? Höchste Zeit, seine Sammlung von „Freunden“ und „Followern“ zu entschlacken, oder? Ungefähr so, wie wenn man alte Unterlagen durchgeht und alles, was man länger als zwei Jahre lang nicht mehr in die Hand genommen hat, wegwirft. Was sind Kontakte wert, zu denen man noch nie wirklich einen echten Kontakt hatte? Aber es ist wohl so wie bei den Unterlagen: Irgendwann könnte man sie ja doch noch mal benötigen. Also werden sie weiter aufgehoben.

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