9. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Unsichtbare Beschäftigte

INSPIRATION: Die Digitalisierung hat in Sachen Mitarbeiterrekrutierung vieles verändert. Allerdings nicht nur zum Besten. Weil Bewerbungen viel einfacher zu erstellen sind, stiegen die Zahlen dramatisch an, worauf die Plattformen mit Filtern reagierten. Die konkreten Zahlen: Im Jahr 2020 führten Unternehmen nur 4 bis 6 Bewerbungsgespräche auf 250 Bewerbungen (Verborgene Talente finden). Die Filter funktionieren, denn sie sortieren nach gewünschten Kriterien Bewerber aus. Wobei diese Kriterien immer strenger und differenzierter wurden. 

Das rächt sich nun, denn eine unbeabsichtigte Folge ist, dass viele Bewerber erst gar keine Reaktion erhalten und irgendwann aufgeben. Würde man verstärkt unter diesen „unsichtbaren Beschäftigten“ suchen, hätte das so einige Vorteile. Diese Menschen erweisen sich als motivierter, engagierter, produktiver und sind auch seltener krank. Außerdem kündigen sie seltener. Dazu kommt, dass Frauen besonders betroffen sind, so dass Unternehmen, wenn sie diese einstellen, ihre Ziele in Sachen Diversität eher erreichen.

Die übersehenen „unsichtbaren“ Kandidaten

Aber um das zu schaffen, müssten Arbeitgeber ihre Rekrutierungsstrategien überdenken. Weg von Superlativen wie „die Besten“, „Experten“ oder gar „Rockstars“. Auf Fachjargon in den Stellenausschreibungen verzichten und ebenso auf Kompetenzen, die überflüssig sind oder im Job erworben werden können. Einige Konzerne machen den Anfang: IBM verlangt für viele Stellen keinen Hochschulabschluss mehr, JPMorgan Chase fragt nicht mehr, ob jemand vorbestraft ist, andere stellen ehemalige Drogenabhängige ein, wieder andere suchen gezielt unter Flüchtlingen.

Einen höchst interessanten Weg geht die US-Apothekenkette CVS Health. Sie kooperiert mit Non-Profit-Organisationen, Kirchen und lokalen Behörden, um Menschen kennen zu lernen, die sich  vielleicht nie trauen würden, nach einer Stelle zu fragen. Dazu bauen sie in Kooperation sogenannte Karrierezentren mit Übungsapotheken (über 50 in den USA) auf, wo z.B. Interessenten mit Behinderungen oder neurodiverse Menschen probeweise Regale füllen. In den letzten 10 Jahren hat man auf diese Weise über 4000 Leute eingestellt. 

Klingt spannend. Vor allem: Auf diese Weise lernt man die Kandidaten ganz anders kennen als im klassischen Bewerbungsinterview. Der Weg ist allerdings mühsamer und aufwendiger. Der Chef des Unternehmens rät anderen zur Geduld. Man darf nicht sofort Ergebnisse erwarten. Von zwei bis drei Jahren „Wartezeit“ ist die Rede, vor allem sollte man sich von kurzfristigen Kennzahlen verabschieden, nach dem Motto: Erfolgreich ist der Recruiter, je weniger Zeit zwischen Schalten einer Anzeige und der Einstellung verstreicht. Vielmehr sollte man schauen, wie sich die „Talente“ langfristig entwickeln und vielleicht auch auf weitere Vorteile achten, die das Unternehmen hat, wenn es in Kontakt zu den Menschen vor Ort kommt, z.B. in Sachen Reputation.

Gut nachvollziehbar, oder? Nur – wer hat diese Geduld angesichts der Versprechen zahlreicher Anbieter, die angeblich perfekt passende Bewerber per App und mit Hilfe weniger „Tests“ liefern können?

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