KRITIK: Menschen, denen man ein Mentoring zur Pflicht macht, bleiben anschließend länger im Unternehmen und zeigen deutlich höhere Leistungen. Wer sich bei dieser Feststellung wundert, der sei beruhigt: Die Aussage dürfte wohl schwer aufrecht zu erhalten sein, aber schauen wir uns mal an, wie sie zustande kommt.
In einem Experiment wurden von 600 neu eingestellten Call Center Mitarbeitern 110 zufällig ausgewählt, sie durchliefen ein vierwöchiges Mentoring-Programm (Mentoring für alle!). Das Ergebnis: Sie erzielten in der Folge im Schnitt 19% mehr Umsatz als die anderen, und die Umsatzsteigerungen blieben sogar über sechs Monate konstant. Ganz großartig: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie mindestens einen Monat im Unternehmen blieben, lag um 14% höher als bei denjenigen, die keinen Mentor bekamen. EINEN MONAT??
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Teil 2 des Experiments: Man fragte den Rest, ob er ein Mentoring wünschte. Hiervon erhielt eine Hälfte ein solches, der anderen erklärte man, dass es für sie keinen Platz gab. Erste Erkenntnis: Die Mentees blieben länger, aber der Effekt verschwand bald wieder. In der Produktivität allerdings gab es keinen Unterschied. Nanu – dann hatte das Mentoring gar keinen Effekt? Die Erklärung: Beide Gruppen hatten schon vor dem Angebot ein deutlich höheren Tagesumsatz, nämlich 30% über dem derjenigen, die sich nicht meldeten. Da war eine weitere Steigerung wohl utopisch.
Neue Hawthorne-Effekt-Variante?
Was schließen wir daraus?
Zum einen, so die Forscher, melden sich offensichtlich freiwillig nur jene, die es eigentlich gar nicht nötig haben – sie leisten ja ohnehin schon mehr als die anderen. Umgekehrt: Wenn man einen Effekt erzielen will, dann muss man Mentoring verpflichtend machen. Dann lohnt sich der Einsatz und die dafür aufgebrauchten Kosten. Weil, so die Vermutung: Wer sich unsicher fühlt, traut sich vermutlich nicht, darum zu bitten.Eine Empfehlung: Nehmen Sie für eine solche Maßnahmen diejenigen mit den schlechten Leistungen, bei den anderen bringt es ja keinen zusätzlichen Umsatz. Da wird große Freude aufkommen, denke ich, dann ist das Instrument rasch als Strafmaßnahme verschrien, nach dem Motto: „Du hast es wohl nötig.“
Ob man all das auf das Mentoring-Konzept generell übertragen kann? Davor warnen die Autoren, denn erstens waren die „Probanden“ alle recht neu im Unternehmen, also erst wenig eingearbeitet und noch nicht fit im Job. Das sogenannte Mentoring war zudem sehr strukturiert und beschränkte sich auf verkaufsbezogenen Aktivitäten – klingt mehr nach einer Art individuellen Trainings, womit zumindest nachgewiesen wurde, dass eine vernünftige Einarbeitung und Betreuung in der Anfangszeit einer Tätigkeit ziemlich sinnvoll ist. Ist doch auch schon was, und in der Tat: Das sollte man wirklich verbindlich machen.