INSPIRATION: Wenn Menschen sich zusammentun, um gemeinsam auf ein Ziel hin zu arbeiten, dann scheint Führung oder die Etablierung von Führungskräften unausweichlich zu sein. Dabei ist Führung nur eine von mehreren Möglichkeiten, die Aufgaben zu koordinieren. Schreiben zumindest die Autoren in der OrganisationsEntwicklung.
Kein so ganz neuer Ansatz, aber vielleicht doch oft nicht bedacht. Denn das kennt man ja von vielen kleinen Unternehmen oder Organisationen: Menschen organisieren sich irgendwie. Jeder übernimmt unterschiedliche Aufgaben, man spricht sich ab, wenn es etwas zu entscheiden gibt oder überlässt den einzelnen Mitgliedern, die entsprechende Kompetenzen haben, die jeweilige Entscheidung. Ergebniskontrolle findet durch entsprechende Formate wie regelmäßige Reviews oder Vier-Augen-Prinzip statt.
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Woanders hingegen ist der Gründer der „Chef“ – er stellt Mitarbeiter ein und schreibt diesen vor, was sie zu tun haben. Entscheidungen trifft er mehr oder weniger alleine. Wenn er sich etwas moderner oder aufgeschlossener gibt, dann konsultiert er seine Mitarbeiter, bevor er die Entscheidungen fällt. Oder aber er delegiert je nach Kompetenz Entscheidungsbefugnisse an einzelne Mitarbeiter oder Ausschüsse und installiert entsprechende Kontrollgremien.
Hierarchie ist unausweichlich
Das erste Modell stößt oft bei schnellem Wachstum an seine Grenzen, so dass dann Organigramme mit entsprechenden Hierarchie-Ebenen eingeführt werden. Was zu der allgemein wenig in Frage gestellten Erkenntnis führt, dass so etwas wie Hierarchie unausweichlich ist, spätestens dann, wenn Organisationen eine gewisse Größe erreicht haben.
Statt nun nach alternativen Organisationsmodellen zu suchen, konzentrierte sich die Managementlehre allzu sehr auf die Rolle von Führungskräften, suchte nach idealen Führungsmodellen und -formen, nach den geeigneten Führungspersönlichkeiten und Möglichkeiten, diese zu entwickeln. Man sollte statt von der Führungskraft von der Situation her denken, fordern die Autoren in der OrganisationsEntwicklung (Führung in modernen Arbeitswelten). Sie unterscheiden nach Alvesson u.a. in sechs mögliche Koordinationsformen menschlicher Zusammenarbeit. Wobei die ersten drei als vertikale, die weiteren als horizontale Koordinationsformen bezeichnet werden:
- Führung (als sozialer Prozess, bei dem ein Führer die Geführten so beeinflusst, dass sie den Sinn des gemeinsamen Tuns verstehen und motiviert sind, sich hierfür einzusetzen)
- Management (arbeitet mit Richtungsvorgaben und Kontrollen und basiert auf formalen Rechten und Hierarchien)
- Ausübung von Macht (basiert auf Autorität und arbeitet mit Zwang, Drohungen, Sanktionen usw.)
- Netzwerke (arbeiten mit informellen Kontakten und Treffen, funktionieren über persönliche Beziehungen, wobei sich die Akteure abstimmen)
- Gruppenarbeit (hier arbeiten Menschen in definierten Einheiten zusammen, es gibt formale Treffen und festgelegte Abläufe)
- Autonomie (jeder arbeitet eigenständig, selbstverantwortlich, wobei eigene Standards gesetzt und die eigenen Entscheidungen reflektiert werden)
Führung von der Situation her denken
Der Gedanke, Führung statt von der Person von der Situation her zu denken, läuft nun darauf hinaus zu schauen, was je nach Organisation und Situation sinnvoll ist. Wenn sich die Akteure einig sind, wie sie ihre Zusammenarbeit organisieren wollen, dann können sie sich an dieser Liste orientieren. Wobei ich mich frage, wie realistisch es ist, das von der jeweiligen Situation abhängig zu machen. In manchen Situationen ist es sicher unausweichlich, dass eine Person klare Anweisungen gibt (Notfalleinsätze z.B.), aber hat es ansonsten nicht mehr damit zu tun, welche Art der Zusammenarbeit man möchte?
So könnte sich ein Unternehmensgründer überlegen, wie seine Organisation funktionieren soll. Oder als potenzieller Bewerber kann ich schauen, wie die Zusammenarbeit bei einem Unternehmen, bei dem ich anheuern will, organisiert ist. Wobei das bei großen Unternehmen kaum eindeutig sein dürfte. Es wird (informelle) Netzwerke geben, die man erst entdeckt, wenn man Teil der Organisation ist. Es wird Führungskräfte geben, die mit Druck und Sanktionen arbeiten, andere hingegen werden (laut der obigen Situation) führen, andere managen. Und dann wird es auch Bereiche geben, in denen mit Gruppen experimentiert wird. Da ändern auch schriftliche Führungsrichtlinien wenig.
Autonomie, wie oben beschrieben, als Organisationsform, kann ich mir nun gar nicht vorstellen. Der Einzelunternehmer ist autonom, aber sobald er sich mit anderen zusammenschließt oder selbst wenn er nur mit anderen Einzelunternehmern kooperiert, wird er Regeln und Standards aushandeln und sich abstimmen müssen. Man könnte lediglich schauen, welcher Grad an Autonomie möglich ist.
Für mich bleibt die Erkenntnis, dass, sobald man Hierarchien einführt, alle genannten Formen „passieren“. Die viel spannendere Frage ist, wie alternative Modelle der Organisation aussehen könnten, die auf formale Hierarchien verzichten. Da passiert ja zum Glück eine ganze Menge zur Zeit …