27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Vom Kopf auf die Füße

INSPIRATION: Führen mit Zielvereinbarungen ist – wie Management by Objectives (MbO) – out. Objectives & Key Results (OKR) sind in. Vor allem im agilen Arbeitsumfeld. Was ist daran so besonders? Ist es nicht dasselbe in grün? Oder besser gesagt: in doppelter Geschwindigkeit?

Denn wer sich einmal genauer mit Agilität beschäftigt und auf ein paar Jährchen Arbeitserfahrung mehr zurückblicken kann als die schnell zu beeindruckende Generation, die gerade im Job angekommen ist, wird dabei viel Bekanntes erkennen. Kanban zum Beispiel. Das wurde im Gruppenarbeitsboom der 1990er-Jahre schon fleißig bespielt.


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Autor Lobacher (Strategiearbeit in Zeiten der digitalen Transformation) hat diesbezüglich keine Berührungsängste. Im Gegenteil: Er legt noch einen obendrauf! Denn er berichtet seiner Leserschaft, dass OKR schon Anfang der 1970er-Jahre erfunden wurde. Und zwar von Andrew Grove bei Intel. Um die Jahrtausendwende landete die Methode dann bei Google und wurde dort adaptiert.

Die Geburt eines neuen Konzepts

Und dann passierte etwas, dass bezeichnend ist. Man muss halt zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein und die Gunst der Stunde nutzen. Gerade war das Manifesto for Agile Software Development veröffentlicht worden. Die IT-Nerds übten sich in Scrum und predigten Agilität – als dieses Video veröffentlicht wurde: How Google sets goals: OKRs. Wir schreiben das Jahr 2013 und OKR wird zum Trend. Heute ist es im Mainstream angekommen.

Jetzt könnte man sagen, das von Peter Drucker erfundene Management by Objectives (MbO) sei noch viel älter. Geschenkt! Und die Weiterentwicklung zum Zielvereinbarungsprozess oder die Balanced Scorecard (BSC). Haben wir da nicht auch Ziele und Key Performance Indicators (KPI)? Genau. Was soll denn so besonders an OKR sein? Autor Lobacher nennt vier wichtige Wirkprinzipien von OKR:

  • Fokusschärfung: Was ist wirklich wichtig, und was nicht?
  • Teamorientierung: OKR richtet sich an Teams, nicht an Individuen
  • Transparenz: Alle kennen die Ziele der anderen Teams
  • Intrinsische Motivation: Autonomy (Gestaltungsfreiraum), Mastery (Weiterentwicklung) & Purpose (Sinnstreben)

Ein gravierender Unterschied

Gehen wir mal über den letzten Punkt hinweg: Es werden leider immer noch gerne Märchen erzählt zum Thema Motivation. So fällt mir sogleich ein gravierender Unterschied zum Zielvereinbarungsprozess auf: die Teamorientierung. Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Wenn ich mich richtig erinnere, verliefen Zielvereinbarungen in der Regel top-down – und 1:1. Die Führungskraft sprach mit ihrem Mitarbeiter. Beide analysierten die Lage im Jahresgespräch, vereinbarten dann Ziele fürs nächste Jahr. Ein Jahr später wurde dann Bilanz gezogen. So die Theorie. In der Praxis konnte man hingegen allerlei Havarien beobachten:

  • Zielvereinbarung wurde oft „missverstanden“ als einseitiges Diktat
  • Zielvereinbarungen wurden oft mit dem Performance-Management verknüpft (Vergütungsrelevanz der Zielerreichung), was zu Frustrationen führen konnte: Wer will schon auf den für den Urlaub eingeplanten Bonus verzichten? Vor allem, wenn „andere“ schuld an der Zielverfehlung sind (Kollegen, Lieferanten, der Markt)
  • Zielvereinbarungen wurden Teil des üblichen Pokerspiels zwischen Mitarbeitenden und ihren Führungskräften. Die Methode lief ins Leere oder konterkarierte die ursprüngliche Intention der gemeinsamen Augenhöhe. Es wurden oft viel zu viele Ziele betrachtet, akribisch fixiert und verfolgt – unter der Hand entwickelte sich eine Bürokratisierung
  • Der angezielte Kulturwandel hin zu einer Dienstleistungs- und Wertschöpfungsorientierung unterblieb oft. Es wurde zu wenig links und rechts geschaut. Und auch zu wenig das Team als Akteur adressiert.

Ein Paradigmenwechsel

Vermutlich könnte man noch weitere Kritikpunkte nennen. Wir sehen hier also einen Paradigmenwechsel. Die Teams entwickeln bottom-up die Ziele. Und dabei setzt man auf Transparenz. Führungskräften spielen keine exponierte Rolle mehr, sondern agieren im OKR wie ganz normale Teammitglieder. Die Teams sind selbstorganisiert. Mit der agilen Methodik und Software-Unterstützung heutzutage also eine andere Nummer als seinerzeit. Also auf dem Papier, sage ich mal vorsichtshalber.

Ansonsten sehe ich auch viele Ähnlichkeiten zwischen OKR und Zielvereinbarungsprozessen. Autor Lobacher nennt sie Kernelemente:

  • Vision & Purpose: Das „Wohin“ & „Warum“
  • Moal: Midterm Goal Picture, ein Zielbild für ein Jahr
  • Objectives: Qualitative, inspirierende Ziele, abgeleitet aus der Unternehmensstrategie
  • Key Results: Messbare Ergebnisse auf dem Weg, die Objectives zu erreichen

Das kennt man im Prinzip. Lassen wir mal den offensichtlich unvermeidbaren Revolutionspathos beiseite, sieht das sehr normal aus. Spannend wird es noch mal, wenn man sich den drei bis vier Monate dauernden OKR-Zyklus anschaut: Nach der Erarbeitung eines Vision- und Purpose-Statements und eines Moal-Planning-Workshops startet nun jedes Team einen eigenen OKR-Zyklus.

Der OKR-Zyklus

  • OKR-Planning-Workshop: die Objectives und Key Results werden autonom erstellt
  • Drafting-Phase: Die Teams schauen sich die OKR der anderen Teams an. Sodann beginnt ein allgemeiner Abstimmungsprozess mit dem Ziel eines Alignments.
  • OKR Weekly: Jede Woche kommt nun das Team kurz zusammen, überprüft die OKR und diskutiert konkrete Maßnahmen.
  • OKR-Review: Gegen Ende des Zyklus kommt das Team zusammen, um die Zielerreichung zu bewerten und Verbesserungen zu diskutieren.
  • OKR-Retrospektive: Hier geht es um die Verbesserung der systemischen (was das auch immer sein mag!) Zusammenarbeit der Teammitglieder. Sodann lautet die Parole: Gehen Sie zurück auf Los!

All das macht einen sehr guten und konkret durchdachten Eindruck. Natürlich gab es auch früher schon „Lessons Learned“. Aber angeblich hat man solche To-Do’s im guten alten Projektmanagement gerne geschlabbert. Womit dann aber die Achillesferse offen liegt: Keine oder eine schlecht gemachte Retrospektive im agilen Arbeiten zieht die Qualität nach unten. Man braucht also Disziplin!

Ach, ehe ich es vergesse: „Alle Events sind gruppendynamische Workshops, die von einem OKR-Master als Coach und Facilitator begleitet werden.“ Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass heutzutage mit Begriffen wie Gruppendynamik und Coaching doch arg undifferenziert hantiert und tendenziell hochgestapelt wird. Ob das dann im Ernstfall gut geht? Ich habe da so meine Zweifel. Gerne würde ich doch hier und da einmal Mäuschen spielen … Auch das erinnert mich an Gruppenarbeitszeiten.

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