INSPIRATION: Das Thema Fragen als Methode ist im Coaching einerseits eminent wichtig. Andererseits scheint es sich um eine sogenannte heilige Kuh zu handeln, an der man nicht zweifeln darf. Wie gut, dass Wissenschaftler es genauer wissen wollen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Wissenschaftlerinnen sich mit dem Thema beschäftigen. Silvia Deplazes beispielsweise schockte vor Jahren schon die Coaching-Community mit empirischen Befunden. Allgemein gilt doch, dass der Einsatz von zirkulären, hypothetischen oder Skalierungsfragen im Coaching der Königsweg ist. Doch ihre Forschung zeigte, dass in der Praxis überwiegend geschlossenen Fragen (54%) zum Einsatz kommen. Und zwar nicht von irgendwelchen Möchtegern-Coaches, sondern von Coaches, die über mindestens fünf Jahre Coaching-Erfahrung verfügten, Publikation platziert hatten und in Lehre und Weiterbildung engagiert waren.
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Schlichtes Nachplappern
Der Einsatz von Sprache beschäftigt auch die Klagenfurter Linguistin Eva-Maria Graf schon viele Jahre. Sie und Kollegen berichten nun aus einem Forschungsprojekt (Fragepraktiken im Coaching). Das Problem wird gleich zu Beginn präsentiert: Sie loben die Coaches für den Einsatz von Fragen. Stellen aber fest, dass die Art und Weise, wie Fragetechniken in der Ausbildung vermittelt würden, offenbar recht naiv und laienhaft sei. Auch das ist keine neue Erkenntnis mehr. Es wird seit Langem beklagt, dass in sogenannten Coaching-Ausbildungen ein chronisches Defizit an wissenschaftlicher Fundierung herrscht (Woran erkennt man pseudowissenschaftliche Theorien).
Graf und Kollegen haben es nun genau auf eine solche heilige Kuh abgesehen: Auf die Überzeugung, dass geschlossene Fragen schlecht und zu vermeiden seien. Das sei aufgrund empirischer Erkenntnisse unhaltbar. Der Frageneinsatz würde zumeist dekontextualisiert gelehrt. Doch: „Fragen sind immer eingebettet in einen Kontext und müssen auf die Anwesenden, die jeweilige kommunikative Interaktion mit ihnen sowie die lokale sequenzielle Struktur des Gesprächs übersetzt werden.“ Man ahnt, die Linguistik verfügt über eine ausgefeilte Kommunikationstheorie und untersucht das Kommunikationsgeschehen im Coaching sehr genau (Welche Frage, wann und warum?).
Dass Coaching allgemein wirke, sei inzwischen unbestritten, so Graf und Kollegen. Doch wie genau, wüsste man nur zum Teil. In der Prozessforschung seien noch viele Fragen offen. Das mag auch an den Coaches liegen, die sich von Wissenschaftler ungern über die Schulter schauen lassen. Aber vermutlich auch an den Coaching-Klienten, die befürchten, dass ihre intimsten Geheimnisse demnächst irgendwo nachzulesen sein. Was natürlich unbegründet ist, denn die Wissenschaftler anonymisieren ihre Daten serienmäßig.
Die Prozessperspektive
Die Grundlage des Fragens bildet Sequenzialität: „Fragen kommen nicht aus dem Nichts, sondern sind motiviert von dem, was im Gespräch vorher kommt, und bilden gleichzeitig die Voraussetzung dafür, was die Gecoachten darauf antworten. Der Coach wiederum greift dieses ‚Material‘ explizit auf und formuliert auf dieser Basis seine nächste Frage zur Lösungsprojektion …“ Die Forschenden konnten bei ihrer Daten-Auswertung zwölf Fragetypen induktiv identifizieren, die sich auf sieben Basisfunktionen verteilen (Beziehungsmanagement, Agenda-Thematisierung, Anliegenbestimmung und Zielformulierung, Problemausarbeitung, Lösungsentwicklung, Transfer und Ergebnissicherung, Evaluierung des Coachings). Sie liefern auch ein phonologisch transkribiertes Beispiel dafür, wie reale Coaching-Gespräche „aussehen“.
In Slow-Mo
Mit der Video-Dokumentation lassen sich Gespräche quasi einfrieren. Auch non-verbale und paraverbale Interaktionen werden notiert. Interessant ist der Aspekt, dass inzwischen ein Basis-Sequenzmuster für professionelle Gespräche beschrieben wird. Änderungen der Gesprächsbeteiligten geschehen in dreierlei Hinsichten: Inhalt, Emotion oder Beziehung. Ansonsten spricht man von Nicht-Responsivität. Hier gibt es noch Forschungsbedarf. Diese (nicht-)gelungen Turns im Gespräch müssen längsschnittlich noch genauer untersucht werden. Und zwar auch bei weiteren Gesprächsschulen. Denn bislang haben sich die Forscher insbesondere mit dem lösungsfokussierten Ansatz beschäftigt.
An der Stelle erzähle ich gerne eine kleine Anekdote. Die sogenannte Wunderfrage nach Steve DeShazer und Kim Insoo Berg ist in der Praxis weitverbreitet. Ich spitze gerne die Öhrchen, wenn ich berichtet bekomme, wie einfach das geht. Und das geht dann häufig so: „Ok, stellen Sie sich mal vor, in der heutigen Nacht geschieht ein Wunder. Was ist dann morgen anders?“ Es ist einfach frustrierend, solche Rohrkrepierer zu erleben. Offensichtlich glaubt man an Voodoo. Den professionellen Einsatz der Wunderfrage, dessen entscheidender Teil hier komplett fehlt, kann man übrigens im lesenswerten Büchlein von Jörg Middendorf studieren (Lösungsorientiertes Coaching).
Was mir an dieser Veröffentlichung im Coaching-Magazin wieder allzu deutlich wird, ist, wie offensichtlich weitverbreitet immer noch ein starker Pragmatismus im Coaching ist. Es ist die nötige wissenschaftliche Forschung, die Licht ins Selbstverständliche bringen kann – und muss.
• Ein Coach stellt geschlossene Fragen, weil er damit seinen Interessen/Intentionen oder denen seines Auftraggeber einer Lösung nahe kommt.
• Solange im Coaching der Coach die wichtigste Figur ist, wird sich nichts ändern.
• Die meisten Coachausbildungen sind basisdemokratische Workshops und keine Ausbildung.
• Die Coachausbilder haben selber keine qualifizierte Ausbildung durchlaufen. Sie sind „good-feel“ Anhänger des Menschen.
Die Wunderfrage ist das beste Umsetzungstool, das ich kenne – aber nur, wenn sie richtig gestellt ist.
Mit der Formulierung „Ok, stellen Sie sich mal vor, in der heutigen Nacht geschieht ein Wunder. Was ist dann morgen anders?“ lädt man den anderen zum Phantasieren ohne Realitätsbezug ein.
Das Wunder passiert nicht von selbst, sondern nur durch ein anderes Handeln des Klienten. Deshalb stelle ich die Wunderfrage nach meinen 3-h-Coachings so: „Woran würden Sie merken, dass das Wunder geschehen ist? Was würden Sie dann anders machen – und was würden Sie nicht mehr machen?“
Die Wunderfrage versucht damit, an die Wünsche anzudocken, die der Klient sich bisher nicht erlaubt hat.