21. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt

KRITIK: Während die einen noch vom digitalen Taylorismus träumen (Langzeit-EKG), die anderen davor warnen (Digitale Strippenzieher), sind wieder andere schon dabei, das Szenario umzusetzen (Auch Maschinen haben einen Biorhythmus): In der Produktion. Hier ist der Taylorismus entstanden, hier hat er eine lange Tradition (time’n’motion-studies).

Die „Refaschisten“, wie böse Zungen die Produktivitätsoptimierer nennen, liefen früher mit Block, Bleistift und Stoppuhr durchs Unternehmen, heute liefern ihnen die Produktionsanlagen Big Data direkt in die Computer. Und dort geschieht dann 24/7-Data Mining. Ein Schelm, der Böses dabei denkt: Doch das Programm heißt ADaM24 – was Advanced Data Mining über 24 Stunden bedeuten soll, als Akronym aber auch an die digitale Neuschöpfung des Menschen denken lassen kann.


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Am Institut für integrierte Produktion Hannover (IPH) sammelt man schon länger Daten im großen Stil und wertet sie aus. Man will dort den „produktionskulturellen Biorhythmus“ (PKB) gefunden haben. Klingt irgendwie cool und auch menschlich, so als ob man inzwischen freundlicher mit den Menschen in Unternehmen umgehen möchte als seinerzeit Henry Ford, der gesagt haben soll: Ich wollte immer nur zwei Hände haben, aber es kamen dann ganze Menschen. Menschen sind keine Maschinen. Und sie sollen auch nicht der Appendix der Maschine sein, die das (noch) machen, was die Maschine (noch) nicht kann.

Maschinenmodell

Auch ich habe Charlie Chaplins geniale Karikatur „Modern Times“ gesehen, die die Autoren dieses Beitrags so nebenbei erwähnen. Doch sie legen schnell ihr Menschenbild dar: „erschließt sich das Gesamtsystem Mensch-Maschine nur im Rahmen einer statistischen Betrachtung“. Ich denke, man darf das getrost Reduktionismus nennen. Der ganze Rest erweist sich dann als hübsch dekorierte Effizienzprosa.

Was verbirgt sich also hinter PKB? Man misst KPIs im Fünf-Minuten-Takt. Es ergeben sich dann statistische Standardtage, die, über den Tag, aber auch über ein Jahr betrachtet, beeindruckende Schwankungen aufweisen. Es ist klar, woher sie stammen: Vom Menschen, nicht von der Maschine. Die Maschine kennt nur An oder Aus – 100% Leistung oder null (Digital Ideal Output Profile). Kaum zu glauben, dass es solche Maschinen geben soll! Dagegen sehen Menschen „alt“ aus. Ihr Real Output Profile ist durch den Biorhythmus geprägt und weist – über den Tag betrachtet – die Form eines M aus. Der schlaue Ingenieur überbrückt dieses Gap nun mittels eines Committed Output Profile. Das liegt zwischen beiden Profilen und ist letztlich ein abgesenktes Digital Ideal Output Profile.

Menschliches

Was dann folgt, ist abzusehen: Wir sprechen über Verschwendung und Verbesserungspotenziale. Man kennt das seit dem Aufstieg Toyotas in den 1990er-Jahren. Das Gap muss reduziert werden. Es geht also den Mitarbeitern und den Führungskräften an den Kragen. Denn sie haben einen Biorhythmus, nicht die Maschinen, wie der Titel suggeriert. Und so findet man natürlich allerlei Dinge: Bspw. Mitarbeiter, die morgens vor Produktionsbeginn Ausfälle vom Vortag kompensieren, oder überzogenes Pausenverhalten auf der anderen Seite. Solches kann man korrigieren und somit die Produktivität verbessern. Wenn man dabei geschickt vorgeht und die Daten aggregiert lässt, also nicht den Mitarbeitern zuordenbar macht, „mindert [dies] die Reaktanz von Arbeitnehmervertretungen“.

Zynismus

Sie haben richtig gelesen, verehrte Leserschaft, spätestens an dieser Stelle kann man sich des Eindrucks einer zynischen Darstellung nicht erwehren. Schon mehrfach im Beitrag wurde mit organisationspsychologischen Konzepten kokettiert. Was halten Sie von folgender Idee: Man nutzt die Daten einer großen, renommierten Kulturstudie (GLOBE) als Benchmark für die eigenen Profile. Konkret: Ihr Mitarbeiterstamm besteht zu einem großen Teil aus Mitarbeitern eines gewissen Kulturraums – wir nennen jetzt keine Namen, aber Sie werden sich das in Ihrer Fantasie leicht ausmalen können. Dann brauchen Sie nur die Profile übereinanderlegen und schon haben Sie bspw. den „Mañana-Effekt“ (Flaschenhals) gefunden!

„Im Hinblick auf die Organisations- und Personalentwicklung kann so die Veränderungs- und Nachhaltigkeitskompetenz von Organisationseinheiten analysiert und gezielt weiterentwickelt werden.“ Der nächste Schritt besteht nun darin, ein „Widerstandsradar“ zu implementieren. Ja, auch hier haben Sie richtig gelesen. Ich glaube, der olle Ford, der ja gewerkschaftliche Initiativen von professionellen Schlägertrupps niederknüppeln ließ, hätte seine wahre Freude an solchen „Modern Times“ gehabt.

Vom Material zum Menschen

So sieht also digitaler Taylorismus aus! Perfektionismus im Fünf-Minuten-Takt. Zu schön, um wahr zu sein! Lehrt doch die Geschichte der Arbeitspsychologie das Gegenteil. Gleich fallen mir die Kriterien förderlicher Arbeitsgestaltung nach Ulich ein. Die Frage der Mensch-Maschine-Funktionsteilung wird in der Arbeitspsychologie als Entwicklung von der technikorientierten zur tätigkeitsorientierten Gestaltung beantwortet. Doch im vorliegenden Beitrag wird die Maschine als Non-plus-Ultra dargestellt.

Die Arbeitspsychologie kritisiert die ingenieurswissenschaftliche „Leftover“-Strategie als verfehlt und nennt etliche Gründe für das häufige Misslingen der technischen Aufrüstung wie unausgereifte, ungeeignete oder zu komplexe Technik. Zugleich wird auf fatale Probleme mangelnder Qualifikation der Mitarbeiter abgehoben. Selbst Elon Musk gab letztens erst zu, er habe zu sehr auf Roboter und zu wenig auf Menschen gebaut. Technikorientierte Gestaltungskonzepte führen daher oft zu nachteiligen Folgen bei den Mitarbeitern: Unternutzung oder Verlust vorhandener Qualifikationen, Unternutzung oder Verlust des Erfahrungswissens – und deshalb auch zu Kostennachteilen.

Arbeitspsychologische Kritik

An dieser Stelle wird es Zeit, sich die Leviten von Andreas Syska, seines Zeichens Professor für Produktionsmanagement an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach lesen zu lassen (Das HR-Management hat die Digitalisierung nicht verstanden): „Die Protagonisten der Digitalisierung: Sie unterteilen die Welt wieder in Denkende und Ausführende.“ Und weiter: „Die Hierarchie der Produktionsfaktoren ist in der digitalisierten Welt auf den Kopf gestellt, mit dem Material an der Spitze, gefolgt von der Maschine und dem Menschen ganz unten.“

Was am Beitrag Auch Maschinen haben einen Biorhythmus zutiefst verstört, ist der zynische Umgang mit organisationspsychologischen Konzepten. Man spricht beispielsweise vom soziotechnischen Systemansatz, berichtet dann aber einseitig von Optimierungspotenzialen auf Mitarbeiterseite. Dass aber Technologie das Problem sein könnte, kommt überhaupt nicht in den Fokus. Geschweige denn das optimale Zusammenspiel beider Faktoren. Freimuth und Freimuth (Klassiker der Organisationsforschung (24): Emery und Trist) legen den Finger in die Wunde solchen technokratischen Wahns: „Der logische Kurzschluss einer Debatte, die Humankapital als unzulänglich und durch Technik zu ersetzen begreift, wird am sogenannten Piloten-Paradox sichtbar: Piloten sollen eingreifen, wenn die Flugtechnik versagt; aber dann können sie wohl kaum das schwächste Glied in der Kette sein.“

Man muss weder Maschinenstürmer werden, noch in Affenliebe zum großen Bruder verfallen, um zu erkennen, in der schönen neuen Arbeitswelt läuft etwas grundsätzlich falsch: Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt – um noch schnell einen genialen Film zu empfehlen (Hauptrollen: Dustin Hoffman, Robert De Niro und andere, 1997).

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