26. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Wertschätzungswüste

KRITIK: Keine Frage: Wir freuen uns über Anerkennung, auch am Arbeitsplatz. Aber tun uns gleichzeitig schwer, anderen etwas Nettes zu sagen. Wir wollen nicht anbiedernd wirken, sorgen uns, für Schleimer gehalten zu werden, den anderen zu korrumpieren. Chefs fürchten, dass Anerkennung beim nächsten Gehaltsgespräch für höhere Lohnforderungen sorgt. Die Folge: Unternehmen als „Wertschätzungswüste“. So zumindest ein Zitat in dem Beitrag der Wirtschaftswoche (Warme Dusche für alle).

Der Titel ist gut, einen solchen Satz habe ich mal zu hören bekommen, als ein Team eine neue Aufgabe zu vergeben hatte. Statt nach Freiwilligen zu fragen, wurde um Vorschläge gebeten, wem man diese Aufgabe anvertrauen möchte. Anschließend konnte jeder begründen, warum man eine Kollegin für geeignet hielt. Die Reaktion nach der Runde: „Das war wie eine wunderschöne warme Dusche.“


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Sollten Unternehmen also versuchen, eine „Kultur des steten Lobs zu etablieren„? Es ist schon seltsam, oder? Da geben Organisationen ihren Führungskräften Mittel an die Hand, um „Spot-Boni“ zu verteilen, ohne sich zu sorgen, dass man damit Menschen korrumpiert, aber verbale Anerkennung ist tabu. Kann ja nicht sein, deshalb denken sich die Experten so schöne Dinge aus wie Lobkärtchen, die die Führungskräfte ihren Mitarbeitern auf den Schreibtisch legen, eine „digitale Praisewall“, über die man Kollegen, Mitarbeitern und Vorgesetzten ein Lob zuschicken kann (so was wie „well done!“ oder „great!„).

Oder auch sehr beliebt: Per App Smileys und Schulterklopfer verteilen lassen, soll sich vor allem für die jüngere Generation eignen, die angeblich unmittelbares Feedback gewohnt ist und auf alles, was sie (digital) leistet, eine Reaktion erwartet. Dieser Tipp ist auch uralt: Die Führungskraft macht sich während der Woche Notizen, wenn ihr an den Kollegen etwas positiv auffällt, damit sie es nicht vergisst und bei nächster Gelegenheit loben kann.

Was es daran zu kritisieren gibt? Im Grunde erst mal gar nichts. Wenn wir uns über Verhalten eines anderen freuen, hiervon beeindruckt oder gar Stolz verspüren, sollten wir es ihn wissen lassen. Es ist sicher auch ein guter Rat, sich auf das zu fokussieren, was klappt und es anschließend zu erwähnen als auf der Lauer zu liegen, um Fehler aufzuspüren und dann Kritik zu üben. Mit Anerkennung hauszuhalten aus Sorge, sich lächerlich zu machen oder anschließend mit Forderungen konfrontiert zu werden, klingt unsinnig. Aber warum tun wir es dann?

Vielleicht, weil wir alle mehr oder weniger die Erfahrung gemacht haben, dass Anerkennung als „Instrument“ genutzt wurde, um uns zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Das beginnt im frühen Kindesalter: „Das hast du fein gemacht!“ Ich lobe dich in der Hoffnung, dass du anschließend das Verhalten wieder zeigst. Menschen haben ein feines Gespür dafür, wenn sie auf diese Weise manipuliert werden sollen. Aber tendieren auch dazu, aus solchen Erfahrungen zu generalisieren und anerkennende Worte in die Manipulationsschublade zu stecken. 

Genau dieses Problem löst man leider nicht mit allen möglichen Tools, ob das nun Apps sind oder „Praisewalls“ oder Fleißkärtchen sind. Im Gegenteil: Ich fürchte, hier wird das Misstrauen nur noch größer nach dem Motto: Hier kommt ein neues Instrument, um uns zu steuern und zu lenken.

Die Lösung heißt Vertrauen – nur wenn ich den anderen als ehrlich empfinde, nehme ich seine Anerkennung für bare Münze. Und Vertrauen entwickelt sich im Laufe einer Beziehung. Wenn Unternehmen also etwas in Sachen „Wertschätzung“ ändern wollen, dann sollten sie aufhören, Instrumente zu basteln. Stattdessen an Strukturen und Prozessen, nicht an Menschen herumfrickeln. So wäre das oben beschriebene Verfahren (aus der Soziokratie bekannt), bei dem Kollegen begründen, warum sie jemandem eine Aufgabe anvertrauen möchten, ein schöner Ansatz, um echte Wertschätzung zu vermitteln.

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