27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Den Stachel ins Fleisch piksen

INSPIRATION: Eine wunderschöne Geschichte des Kulturwandels im fernen Indien. Fast zu schön, um wahr zu sein. Aber selbst, wenn sie geschönt sein sollte – wir können viel davon lernen für das Change-Management.

Im Sommer 2014 setzte die Autorin (Gestört, gestärkt, gewachsen) einen besonderen Impuls: Sie ließ mitten in einem indischen Dorf einen Skatepark errichten. Spinnert? Oder eine Intervention der besonderen Art? Ulrike Reinhard, die sich selbst eine digitale Nomadin nennt, reiste durch den „Wilden Westen“ Indiens auf Einladung eines Landlords ins unscheinbare Dorf Janwaar. Dort schien die Zeit stillzustehen. Und der Landlord hatte die Idee, die Deutsche zu bitten, in seinem „Reich“ ein Sozialprojekt zu starten. Denn damit hatte die Autorin schon Erfahrungen sammeln können, und der Landlord hoffte auf etwas touristische Publicity.


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Ulrike Reinhards Idee war verrückt: ein Skatepark. Warum gerade das? „Wegen der Kultur des Sports Skateboarding.“ Sie ist Gegenkultur – nicht nur in westlichen Ländern. „Es geht beim Skateboarding um Ungehorsam, Widerstandsfähigkeit und darum, seinen eigenen Weg zu finden.“ All das war in Janwaar kein Thema. Der Skatepark trifft also auf das Dorf wie ein Meteorit aus heiterem Himmel: Antimaterie auf Materie – eine völlige Irritation!

Eine verrückte Idee

Nun ist das die Methode, mit dem systemisch denkende Beraterinnen gerne arbeiten. Und Ulrike Reinhard stammt aus dieser Denkschule. Sie hat etliche Zeit mit der Mastermind-Legende Peter Kruse zusammengearbeitet, habe ich mal recherchiert. Was genau hat sie also damals gemacht? Sie trifft auf einen Ort, der hermetisch in sich ruht. Und beschließt einen Clash of Culture. „Natürlich wusste ich nicht, was (!) durch diese Intervention geschehen würde, aber ich wusste, dass (!) etwas geschehen würde.“ Ganz schön mutig! Wobei – einige Jahre zuvor hatte sie ein ähnliches Experiment in Afghanistan ausprobiert. Das lief nicht ganz so, wie sie sich das gedacht hatte. Die Erfahrungen aus diesem Projekt lehrte sie, dass es sinnvoll wäre, einige Spielregeln für das Experiment zu setzen. In der Synergetik, der systemtheoretischen Richtung, die hierzulande noch weniger Beachtung findet als die inzwischen zur Pop-Kultur avancierte Luhmannsche Lehre, nennt man solche Kontrollparameter. Ulrike Reinhard setzt also bewusst drei Bedingungen:

  1. Der Skatepark wird als „offenes System“ konzipiert. Er ist für alle zugänglich, es gibt keinen Zaun, keinen Gatekeeper und er steht mitten im Dorf. Man kann ihn nicht ignorieren. Er ist wie eine offene Wunde. Und wird ständig von allen beobachtet.
  2. Spielregel Nr. 1 für die User: „No School, no Skateboarding“. Keine Konkurrenz zur Dorfschule, sondern eher ein Anreiz für diese. Spielregel Nr. 2 für die User: „Girls first!“. Eine „Frauenquote“: „Wenn es nicht genug Skateboards für alle gibt, muss ein Junge sein Board an ein Mädchen, das ihn darum bittet, abtreten.“
  3. Partizipation: Nicht Ulrike Reinhard bestimmt die Richtung des Wandels, sondern die Dorfbewohner. Sie ist bloß Beraterin.

Na ja, ganz so blauäugig ist die Beraterin nicht vorgegangen. Sie hat sich nicht nur ein paar Locals als Unterstützer gesichert, sondern auch noch zwölf Skateboarder aus sieben verschiedenen Ländern eingeflogen. Und ein deutscher Architekt hat das Design für den Park geliefert. Dann fehlte nur noch ein Name für den Park: Sie tauften ihn Janwaar Castle – das Janwaar Schloss! Um in der systemtheoretischen Sprache zu sprechen: Ulrike Reinhard hat starke alternative Attraktoren organisiert, um einen Musterwechsel anzuregen.

Asha

Nun wird es persönlich: Ein Mädchen aus dem Dorf, Asha, wird zum Testimonial. An ihrer Geschichte spiegelt sich das ganze Hin und Her vor Ort, die Höhen und Tiefen, die Hürden und deren Überwindung. Eine wahre Heldinnengeschichte. Zu schön, um wahr zu sein. Es sollen hier nicht alle Details berichtet werden.

Natürlich gab es Konflikte. So dauerte es acht Monate, um die Eltern zu überzeugen, dem Mädchen eine Lernkarriere zu erlauben. Es mussten Gespräche geführt werden – auch zwischen den Kasten. Das gab es zuvor nicht. Dann wurden die Medien auf das Projekt aufmerksam. Die Gespräche zogen weitere Kreise. Letztlich schweißte all das das Dorf zusammen. Alle standen irgendwann hinter der gemeinsamen Sache. Und das Projekt bekam weiteren Tiefgang. Heute ist das Skater Girl Asha Direktorin der Barefoot Skateboarders Organization, einer gemeinnützigen GmbH, die die Jugendlichen von Janwaar mit Hilfe von Ulrike Reinhard gegründet haben.

Der Transfer

Ulrike Reinhard resümiert: „Eine kleine Irritation, die vordergründig gar nichts mit Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, sozialer Gerechtigkeit, Schulbildung und Co. zu tun hatte, hat genau diese Dinge in Bewegung gebracht.“ Und an dieser Stelle betreibt sie den Transfer in die Unternehmenslandschaft: Kultur wird sich nur verändern, so lautet ihre Botschaft, wenn sie sich aus der Organisation selbst heraus entwickelt. Predigten bewirken nichts, man muss ins Handeln kommen. Dieses Fazit finden wir auch an anderer, prominenter Stelle gezogen (Am Lagerfeuer). Es sind nicht die feierlichen Leitbild-Proklamationen, die den Change bringen, sondern reale Experimente, die unter den Argusaugen aller Beteiligten stattfinden (Erlaubnis zum Experimentieren).

Nun blieben für meinen Geschmack noch ein paar Fragen unbeantwortet. Beispielsweise, wie es gelang, den Landlord zu überzeugen und bei der Stange zu halten. Na ja, BeraterInnen erzählen eben nicht immer alles. Sie möchten ja weiterempfohlen werden zum nächsten Projekt. Eine Kleinigkeit wäre da noch zu erwähnen: Vor zweieinhalb Jahren wurde über das Janwaar-Projekt schon einmal in derselben Zeitschrift berichtet (Konstruktionsfehler). Ob das seinerzeit also den Ausschlag gegeben hat, der Geschichte nachzugehen und von der Autorin selbst den Bericht zu erbitten? Nun, solches interessiert vermutlich nur Editoren wie mich.

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