Markige Forderungen: „Mehr Punkrock“, „konstruktiver Nonkonformismus“, „Guerilla Gardening“ – es geht um Organisationsrebellen. Anders als politische Rebellen wollen sie nicht an die Macht, aber wie diese die Welt verbessern. Die Chefs sehen es mit Wohlwollen und lassen die Zügel ein wenig lockerer.
Das Personalmagazin hat in der Ausgabe 1/2019 die „kreativen Regelbrecher“ zum Schwerpunkt gemacht. Menschen, die Regeln hinterfragen und nicht um Erlaubnis bitten, sondern einfach mal machen. Besonders eindrucksvoll ist das Beispiel der Mitarbeiter bei der Datev („Wir sind keine Unruhestifter“). Dort hat ein solcher „Rebell“ eines Tages eine Art Manifest entdeckt und dieses im Unternehmen per Plakat verbreitet. Es nannte sich „Anleitung für Organisationsrebellen“ und enthielt „Forderungen“ wie diese hier:
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Personal- und Organisationsentwicklung, die über Trainings- und Prozessoptimierung hinausgeht.
Wir glauben an die unbegrenzten Entwicklungsmöglichkeiten von Menschen, Strukturen und Prozessen. Unsere Mission ist es, Personen und Unternehmen bei dieser Entwicklung zu begleiten und sie dabei zu unterstützen, ihre Ziele zu erreichen.
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- Wir brauchen eine Umgebung, in der es erlaubt ist, nicht die gleichen Meinung zu haben…
- Schätzt unsere Andersartigkeit…
- Fordert uns heraus!
- Lasst uns unsere wilden Ideen ausprobieren.
- Gebt uns keine Lippenbekenntnisse…
- Gebt uns Wertschätzung und wir versetzen Berge für euch!
Das Plakat hat die Runde gemacht, wurde weiter verteilt und im Intranet gepostet. Es hat eine Wertediskussion in Gang gesetzt, was die Personalvorständin freut. „Jede Organisation, die sich weiterentwickeln will, braucht konstruktive Organisationsrebellen.“ Mutig fand sie die Aktion der „Rebellen“ – und vermutlich braucht man dafür nach wie vor viel Mut, wenn man in Unternehmen Dinge selbst in die Hand nimmt. Mehr noch: Wenn man für sein Anliegen Mitstreiter sucht, und wenn man genügend davon gefunden hat, versucht, auch grundlegende Sachen zu verändern. „Graswurzelbewegung“ heißt so etwas heute.
Schön, denke ich, wenn ein Management diese „Regelbrecher“ so entspannt sieht. Aber ich tendiere auch dazu, einem Experten namens Ardalan Ibrahim zuzustimmen, der meint, dass in Organisationen, die ihre Strukturen umgestellt haben, „Rebellen nicht mehr nötig sind.“ Sie seien „nur ein weiteres Artefakt einer kranken Unternehmensorganisation.“ (Sei ein Rebell!) Ein wenig so wie in politischen Systemen – als würde ein Diktator seine Untertanen auffordern, konstruktiv zu rebellieren und unbequeme Wahrheiten zu verbreiten, aber bitte nicht am Thron rütteln. Während in demokratischen Gesellschaften es möglich sein muss, auch abweichende Meinungen zu vertreten und dafür Unterstützung und Mehrheiten zu suchen.
Schwierig für ein Top-Management, oder? Entlarvend finde ich die Äußerungen der Personalvorständin von Continental. Sie hat zusammen mit ihrem „Organisationsrebellen“ und Personalentwickler ein Interview gegeben („Freedom to act“), in dem sie ein Bild ihres Mitarbeiters aufgreift. Er meint, dass ein Innovationsprozess mit dem Reiten vergleichbar ist: Die Leine wird Stück für Stück nachgelassen, so führt man das Pferd an die neue Freiheit heran. Und seine Chefin meint: „Ein sehr treffendes Bild, zumindest für uns Reiter.“ Oha, der Manager, der seine Mitarbeiter Zug um Zug in die Freiheit entlässt, aber die Zügel letztlich natürlich in der Hand hält.
Aber noch mal zurück zu den Menschen, die es sich nicht nehmen lassen, in Organisationen Dinge zu verändern. Wie der Anwohner, der ohne Erlaubnis öffentliche Flächen mit Blumen bepflanzt (Guerilla Gardening), bis sich ihm immer mehr Nachbarn anschließen und schließlich der Ortsteil in frischem Grün erstrahlt, ohne dass eine Behörde das genehmigt hat. Das ist ein Bild, das mir gut gefällt. Jemand ist mit einem Zustand nicht zufrieden und hat eine Idee, wie es besser sein könnte. Er setzt seine Ideen um und findet Anhänger. Eine Behörde, die sich als Dienstleister für ihre Bürger versteht, wird ihre Regeln anpassen und das Engagement unterstützen.
So könnte sich auch ein Management verstehen. Wobei man hier Continental wieder hervorheben kann: Dort gilt inzwischen als eine Regel, dass man „das Ownership bei den Leuten belässt, die die Initiative angestoßen haben.“ Wer bei der Weiterentwicklung seiner Idee eingebunden wird und aktiv daran mitarbeiten kann, der dürfte ein ganz anderes Engagement entwickeln, als wenn er wieder und wieder mit seinen Ideen scheitert oder sie „heimlich“ umsetzen muss. Dann braucht man vielleicht auch keine „Rebellen“ mehr. Die nämlich, so meine Erfahrung, werden am Ende ohnehin das Unternehmen verlassen und sich irgendwann selbstständig machen…