INSPIRATION: Das Personalmagazin hat mal wieder das Thema „Deskless Worker“ aufgegriffen. Das ist einerseits löblich, weil das Thema schon eine kleine Tradition im Blatt hat. Andererseits mutet es etwas hilflos an.
Weil man sich verwundert die Augen reiben mag. Denn die Kategorie „Deskless Worker“ kann nur postpandemisch verstanden werden. Während die Kopfarbeiter in der Pandemie ins Homeoffice verschwanden und dort teilweise blieben, mussten die Blaumänner in der Produktion oder Logistik ausharren und ihren Job vor Ort schieben. Auch die Dienstleister im Krankenhaus, die Verkäufer:innen im Supermarkt oder an anderer Stelle konnten nicht ins Homeoffice flüchten.
Jetzt hat sich daran diese Diskussion entzündet, wie man das Arbeitszeitmanagement optimieren kann – für die Anzug- und Kostümträger*innen, die Angestellten. Und das ist eine etwas luxuriöse, vielleicht auch gehässige Debatte. Denn es macht offensichtlich, dass diese Diskussion einseitig mit dieser einen Beschäftigtengruppe geführt wird. Und die anderen – mal wieder in die berühmte Röhre gucken. Und das weckt, verstärkt vielleicht sogar alte stereotype Ungerechtigkeitsgefühle: Die „Studierten“ gegen den Rest – Klassenkampf.
Ach, könnte man fragen, warum haben die anderen denn keinen „Desk“? Womit ja nicht unbedingt ein massiver Schreibtisch gemeint sein muss, sondern digitale Kommunikationsinstrumente allgemein – vom Handy übers Tablet bis zum Rechner. Und die Antwort auf diese naive Frage würde dann lauten, weil das Display an der Maschine fixiert ist. Oder: Weil der Brötchen- oder Sonst-was-Verkäufer eben nicht mit seinem Marktstand durch die Stadt fährt (obwohl: Bringdienste?). Und weil die Technologie (Beispiel: Krankenhaus) eben besser zentral aggregiert wird, der OP nicht mal eben raus aufs Dorf fährt.
Warum ist die Banane krumm?
Vielleicht ist es hilfreich, solche naiven Fragen zu stellen. Dann wird nämlich schnell klar, dass diese Fragen überhaupt nicht neu sind. Sondern seit des ollen Fords Zeiten immer eine Rolle gespielt haben. Und so sind auch die Antworten, die Autor Zander gibt (Zeitautonomie geht auch in der Fertigung), überhaupt nicht neu. Ich erinnere mich noch sehr genau an die 1990er-Jahre und die Einführung von Gruppenarbeit in Industrie und Dienstleistung. Man fragt sich bloß, was ist denn aus all den tollen Ideen und umgesetzten Modellen seitdem geworden? Warum haben sie nicht überlebt, warum haben sie sich nicht weiter verbreitet?
Das ist doch der eigentliche Skandal hinter der Diskussion um die „Deskless Worker“. Und wenn man bedenkt, welchen Zuwachs an technischen Möglichkeiten wir heutzutage haben – angefangen bei der smarten Maschinensteuerung, über Bluetooth, WLAN, Handys und Apps, fragt man sich, wo das Problem ist. Und meine Antwort lautet: Man muss es eben auch wollen. Also die „Desk Worker“ – „die da oben“ – müssen es auch wollen. Und meine These wäre: Sie wollen es nicht (Achtung: Hier spricht das Direktionsrecht!).
Gehen täte es schon. Dazu gibt es einfach zu viele schöne und gute Beispiele (Kleine Brötchen). Die Leute an der Basis, die sogenannten Frontline Worker oder Shop-Floor-Mitarbeiter – also die Jenseits des Büros – wollen und können mit Technologie umgehen. Die partizipative digitale Personaleinsatzplanung via App, die Fernwartung einer Maschine – alles kein Hexenwerk. Aber man will eben nicht. Weil es eine Frage der Kultur ist. Das ist das Ding mit den „dicken Brettern“. Weil es eine Machtfrage ist: Die sollen arbeiten, nicht denken! Ford & Co. lassen grüßen.
Alte Fragen, alte Antworten
Autor Zander bringt das schön auf den Punkt: „Zum heutigen Stand spielen die Bedürfnisse von Mitarbeitenden bei der Produktionsplanung faktisch keine Rolle.“ Ach, wie bitter! Aber wollten wir nicht Agilität in den Unternehmen einführen, frage ich mich? „Dummerchen,“ gebe ich mir selbst zur Antwort, „erstens geht das nicht überall, und zweitens muss man erst mal schauen, und drittens haben wir gerade andere Probleme.“ Und wenn man dann mal schaut, sieht man allerorten Halbherzigkeit (Wasch‘ mir den Pelz, aber …).
Wahrscheinlich war es mit Gruppenarbeit dasselbe. Als den „Herr“schaften plötzlich klar wurde, dass es nicht nur um Flexibilität gehen sollte, sondern auch um dezentrale Entscheidungsstrukturen, Hierarchieabbau und Partizipation (heute heißt das: Empowerment), stieg man schnell wieder auf die Bremse. Das erinnert mich an den alten 08/15-Bank-Werbetrailer der Sparkassen (Fähnchen).
Und heute (2025)? Autor Zander: „Während man in einigen Produktionshallen sanitäre Einrichtungen vorfindet, die mit dreckigen, weißen Kacheln an Schlachtbetriebe aus den 1950er-Jahren erinnern, werden für Angestellte Bürogebäude mit Baristalounges errichtet.“ Das ist wie im lecken Boot den Eimerschöpfprozess zu optimieren: „Anstatt über immer bessere Recruiting-Prozesse und Employer Branding zu debattieren, sollten Arbeitgeber erst einmal die Situation so verbessern, dass die Fluktuation geringer wird und dass sie ihren Personalmarketing-Botschaften gerecht werden.“
Problem erkannt …
Wohl wahr! Und doch habe ich im selben Heft noch einen witzigen Beitrag gefunden, in dem es um Smartes Recruiting geht. „Wir haben bei HAI die Unterschiede zwischen den Bedürfnissen unserer gewerblichen Mitarbeitenden und denen der Angestellten erkannt und setzen auf maßgeschneiderte Ansätze.“ So suchte man das Gespräch bei Hammerer Aluminium Industries (HAI) mit den Mitarbeitenden. Was für eine tolle – offensichtlich nicht selbstverständliche – Idee. „Während sich Angestellte häufig über Webseiten von Unternehmen oder Linkedin über relevante offene Stellen informieren, nutzen gewerbliche Mitarbeitende eher das Onlineportal des Arbeitsmarktservice oder Anzeigen in Karriereportalen.“
Ältere Mitarbeitende nutzen nach wie vor lieber analoge statt digitale Medien. Und dann gibt es da noch kulturelle und sprachliche Diversität, gerade im gewerblichen Bereich. Problem erkannt … Bierdeckelaktion entwickelt. „Unter dem Motto ‚Im Wirtshaus kuman d‘Leid zom‘ (Im Wirtshaus kommen die Leute zusammen) wurden potenzielle neue Mitarbeitende dort angesprochen, wo sie es am wenigsten erwarteten – beim gemütlichen Essen oder Trinken in den umliegenden Wirtshäusern von HAI.“
Dabei blieb es nicht. Eine App für die Mitarbeitenden unterstützt die Kommunikation, ermöglicht den Zugriff auf eine E-Learning-Plattform und die Schichtplangestaltung soll da auch noch angeflanscht werden. – Na, geht doch …