5. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Assessment Center positiv erleben

KRITIK: Dass ein Assessment Center Stress für die Kandidaten bedeutet, dürfte kein Geheimnis sein. Der Ansatz des „Erlebnis-basierten Assessment Center“ soll dafür sorgen, dass Auswahl auf der einen und Gemeinschaft, Lachen und Spaß auf der anderen Seite keinen Widerspruch darstellen. Das Konzept stammt von Beraterinnen, die offenbar einen solchen Auswahltag bei Bertelsmann begleitet haben.

Ich bin auch nach der Lektüre skeptisch – allein schon der Begriff „Erlebnis-basiert“ irritiert. Aber zunächst die Vorschläge der Beraterinnen, die völlig zu Recht betonen, dass ein solcher Auswahltag für das Unternehmen schon Konsequenzen hat, Stichwort „Candidate Experience“ (Erlebnisbasierte Auswahltage). Wer sich dabei unfair behandelt fühlt und mit negativen Eindrücken nach Hause fährt, wird sich wohl kaum ein zweites Mal bewerben und vermutlich das Unternehmen auch niemandem als Arbeitgeber weiterempfehlen.

Die Idee ist, für „psychische Sicherheit“ zu sorgen. Wann fühlen wir uns sicher? Wenn wir das Gefühl haben, offen sein zu können und „uch Fehler machen und kritische Rückmeldungen geben dürfen, ohne dass negative Konsequenzen drohen“. Das soll bei einem Auswahl-Assessment möglich sein? Mir kommt das so vor, als wenn man einem Fahrprüfling sagt, er dürfe ruhig Fehler machen ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Ist die Konsequenz beim AC nicht die, dass man nicht eingestellt wird? Bei Bertelsmann wurden aus 700 Bewerbern nur fünf Kandidaten für ein Trainee-Programm ausgewählt.

Wie also sorgt man für diese psychische Sicherheit? Durch hohe Transparenz und wertschätzenden Umgang. Letzteres halte ich mal für selbstverständlich, ersteres ist sicher etwas, das nicht in jedem Auswahlverfahren vorkommt. Beim „Erlebnis-basierten AC“ bekommen die Kandidaten vorher mitgeteilt, welche Kompetenzen erfasst werden und auch, welche der Kompetenzen in welcher Übung abgeprüft werden.

Außerdem bekommen sie zur Vorbereitung auf die Übungen Tools über eine „Tool-Tankstelle“ zur Verfügung gestellt wie zum Beispiel die SWOT-Analyse. Sie erhalten ein „Face-Book“ mit den Fotos der anderen Kandidaten und der Beobachter, so dass sie diese ansprechen und sich mit den Kollegen nach der Veranstaltung auch vernetzen können. In einer unkonventionellen Vorstellungsrunde beantworten Kandidaten und Beobachter in einem Speed-Interview die Frage, wer sie wären, wenn sie ein Superheld wären – was als Warm-up für Lockerheit sorgt. Ein verständlicher Zeit- und Übungsplan und eine gute Raumbeschriftung sorgen zudem für Orientierung.

Das Wichtigste aber kommt am Schluss: Jeder Teilnehmer erhält ein Feedback, konkret auf die Übungen des Tages bezogen, damit kann er, wenn er denn möchte, „seine als geringer ausgeprägt wahrgenommen Kompetenzen weiter ausbauen.“ Gibt es wirklich noch AC-Veranstaltungen, in denen die Teilnehmer kein Feedback am Ende erhalten?

Schließlich erfahren wir noch, dass ein AC, und speziell das Erlebnis-basierte, sehr aufwendig und auch teuer ist, aber es würde sich lohnen.

Wenn ich mich an meine Prüfungen gegen Ende des Studiums erinnere, dann fällt mir nur eine einzige ein, die ich positiv in Erinnerung habe. Der Professor fragte mich, was mir denn in der Vorbereitung leicht und was mir schwerer gefallen war. Ich riskierte eine offene Antwort, und dann sprach er mit mir nur über die Inhalte, mit denen ich Probleme hatte. Eine geniale Prüfungsmethode: So fand er nicht nur heraus, ob ich mich wirklich mit den Inhalten beschäftigt hatte, sondern er konnte auch meine Art zu denken und an Probleme heranzugehen erkennen, statt auswendig gelernte Fakten abzufragen. Ließe sich so etwas übertragen, statt Selbstverständlichkeiten wie Wertschätzung und Rückmeldung als „Erlebnis-basiert“ zu verkaufen?

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