11. Oktober 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Beträchtlich Luft nach oben

KRITIK: Arbeiten im Ausland ist für viele eine Verlockung. Leider wechseln nicht wenige die Grenze, ohne gut vorbereitet zu sein. Dann kann Coaching hilfreich werden. Doch die gute Vorbereitung käme vielleicht nicht nur günstiger als Coaching.

Die Intention, über das Thema Auslandsaufenthalt aufzuklären, ist zweifellos anerkennenswert. Leider findet das wichtige Thema immer seltener Eingang in die Fachpresse – und vermutlich dito in die Personalentwicklung. Möglicherweise liegt es an einem falsch verstandenen Understatement nach dem Motto: Leben wir nicht alle in einer globalisierten Welt? Kann man sich nicht überall mit Englisch verständigen? Ich fürchte, diese Einstellung ist weitverbreitet. Aber sie ist völlig naiv.


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Naivität und Kulturschock

Man muss dafür als Deutscher noch nicht einmal ins deutschsprachige Ausland (Österreich, Schweiz) reisen, um ernüchtert zu werden. Manchmal reicht auch schon der inländische Wechsel von Hamburg nach Köln oder von München nach Berlin. Die Diskrepanzerfahrung die man so machen kann, nennt sich im schlimmsten Fall Kulturschock.

Davon liest man im Beitrag der Autorin Inez Tanzil (Coachen im glücklichsten Land der Welt) nichts. Gar nichts. Völlig naiv macht sie ihrer Leserschaft Appetit auf Finnland, das Land mit den „weltweit glücklichsten Menschen“. Na, denkst sich Otto Normalverbraucher, da kann ja nichts mehr schief gehen … Nix wie hin!

Was dann an Informationen folgt, kann man unter „ein wenig Landeskunde“ rubrizieren. Das ist nett, und folkloristisch. Aber reicht überhaupt nicht aus, um auch nur ein Grundverständnis für soziokulturelle Gegebenheiten zu entwickeln.

Wie gut, dass es da einen Coach gibt

Dann gibt es da noch den Brückenkopf zwischen hier und dort: Den Coach Ludger Marekwia. Er „konnte (…) bereits in den 90er Jahren in verschiedenen finnischen Firmen tätig werden und so die finnische Berufskultur kennenlernen.“ Und dann ist er mit seiner finnischen Ehefrau ausgewandert – nach Finnland. Glücklicherweise ist er vom ICF akkredierter Coach (ACC, den Titel bekommt man, wenn man 60 Stunden Coaching-Ausbildung und 100 Stunden Coachingerfahrung nachweisen kann). Well, lästere ich einmal: „I’am waiting for my man“ (client) … (Velvet Underground). Will sagen: Er wartet auf die, die dann im Berufsalltag nicht klarkommen. Und bietet ihnen seine Unterstützung an.

Ist das honorig … Soll man das Coaching nennen? Ist der Beitrag im Coaching-Magazin nicht bloß platte PR? Sagen wir mal so: Ich erkenne hier Luft nach oben! Wer beim Thema seine Hausaufgaben gemacht hat, der hat die Grundlagen der interkulturellen Psychologie studiert. Will sagen, um die Grundlagenforschung von Alexander Thomas (Interkulturelle Psychologie) wird man da schwerlich herumkommen.

Interkulturelle Psychologie

Und das Gute daran? Thomas bietet mit dem Cultural Assimilator ein wirklich überzeugendes Konzept an, sich mit fremden Kulturen auseinanderzusetzen (=Praxis). Es beruht auf der Methode der kritischen Ereignisse (CIT; critical incidence technique) von Flanagan. Mit dieser Methode kann man sich ernsthaft auf eine fremde Kultur vorbereiten. Picken wir mal einen Band aus der umfangreichen Buchreihe heraus (Beruflich in Babylon).

Wenn wir da durch sind, dann können wir gerne über Coaching sprechen. Kürzen wir das (naiv, überheblich, ignorant) ab, dann ist Coaching schlicht die viel zu teure Variante, Probleme zu bearbeiten, die durch die Konfrontation mit einer fremden Kultur entstehen können. Expat-Coaching, wie das im Beitrag skizziert wird, ist das Coaching von „fetten Maden“, die in ihren Expat-Communities (=Ausländerblasen, -ghettos in der Fremde) hausen. Ein altbekanntes Problem der NGO-Szene.

Sprachspiele

Auf einem deutlich professionelleren Level steigt in derselben Ausgabe Autorin Simone Mwangi (Die Bedeutung von Sprache im interkulturellen Coaching) zum Thema interkulturelles Coaching ein. Sie verdeutlicht ausführlich die Gefahr sprachlicher Missverständnisse. Insbesondere, wenn das Coaching in einer dritten Sprache stattfindet, also Coach wie Klient nicht in ihrer Muttersprache miteinander sprechen. Solche Informationen sind für Coach-Anfänger sicher hilfreich. Die Hinweise, sich einer aktiven Haltung des Nichtverstehens zu bedienen, sind nicht falsch, können aber schnell zu einem falschen Sicherheitsgefühl führen: „Ach so, wir konstruieren uns alle unsere Wirklichkeit … Aber ich habe ja zirkuläres Fragen gelernt.“

Man muss nun als Coach nicht tief in die Sprachphilosophie eintauchen (wobei das sicher nicht schädlich wäre). Und man muss auch nicht mit allen linguistischen Wassern (Fragepraktiken im Coaching) gewaschen sein. Aber das Thema interkulturelles Coaching hat in der Tat einen deutlichen Tiefgang. Doch Autorin Mwangi kommt erst nach einiger Lesestrecke auf das Thema Kultur zu sprechen. Beides, Sprache und Kultur gehören aber zusammen – wie Systemtheoretiker Jürgen Kriz (Ganzheitliche Psychologie) schön dargelegt hat.

Und so möchte man fast aufatmen, dass Autorin Mwangi zum Schluss dann endlich noch die Hinweise gibt, mit visuellen Methoden zu arbeiten. Oder mit „Geschichten, Märchen, Mythen oder auch Redewendungen und Symbolen“. – Es ist ja nicht so, als ob das alles Neuland wäre (Coaching als Ritual). Es zeigt aber eben auch, das Coaching ein anspruchsvolles Geschäft ist und man mit 60 Stunden Ausbildung nicht weit kommt.

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