SATIRE: Während Psycholog:innen immer noch darüber streiten, was genau Intelligenz sein soll, scheinen da einige IT-Experten schon weiter zu sein. Was man unter Künstlicher Intelligenz zu verstehen hat, darüber lassen die Autorinnen (Künstliche Intelligenz im Coaching) ihre Leserschaft aber eher im Dunkeln. Stattdessen steigen sie gleich mit der sogenannten schwachen KI ein. Das sind eigentlich Computerprogramme, die die Nutzerschaft – mehr oder weniger gelungen – durch einen Problemraum begleiten. Wie ein Fahrkartenautomat am Bahnhof beispielsweise. Versteht der Nutzer die Programmdenke der Maschine nicht, kommt er nicht zum Ticket. Dumm gelaufen … Hat die Userin ausgefallene Wünsche, auf die die Maschine nicht vorbereitet ist, einen Cocktail an den Sitzplatz oder eine wärmende Decke, streikt das Programm und stellt sich so dumm wie es offensichtlich ist. Die Userin verzweifelt und wünscht sich einen „richtigen Menschen“ herbei.
Tja, intelligent muss nicht schlau bedeuten, so könnte es auch im Coaching gehen: Die Terminvereinbarung bekommt der Roboter noch hin, vielleicht kann er Anfragen auch grob kanalisieren und ein paar Lesehäppchen ans Publikum verteilen. Aber kann er mehr? „Durch die Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz, eigenständig die Persönlichkeit des Klienten sowie dessen Coaching-Anliegen in Erfahrung zu bringen, können solche Systeme auch gut für den Matching- und Vermittlungsprozess zwischen dem Klienten und einem passenden Coach genutzt werden.“
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Große Ambitionen
Au weia, das tut weh! Ein Computerprogramm kann einen Kunden durch ein Persönlichkeitsverfahren schleusen und somit zu einem Ergebnis führen. Doch versteht der Computer gar nicht, was das bedeutet. Das müsste ihm einer erst erklären. Das Programm müsste sich mit Persönlichkeitspsychologie auskennen und auch Ahnung von Testtheorie haben. Man müsste es etliche Semester studieren, wenn man nicht fröhlich vor sich hin dilettieren möchte. So ist die Bewertung von Persönlichkeit ohne Kontextwissen schlicht sinnfrei. Und wieso Matching? Dann müsste es ein Gegenstück geben. Einen Coach. Und eine Theorie, die beides miteinander verbindet. Das ist nicht nur brutal mechanistisch gedacht, sondern auch schlicht falsch. Die „Greatest Ever“-Coaching-Studie sagt ganz klar: Persönlichkeit spielt beim Matching keine Rolle. Und das Coaching-Anliegen herauszufinden, ist eine ziemlich wichtige, aber schwierige Angelegenheit, an der nicht nur Anfänger scheitern können. Die sogenannte Auftragsklärung wird von Leuten, die sich auskennen, als Matroschka-Puppenspiel bezeichnet: Der Auftrag hinter dem Auftrag hinter dem Auftrag … Wer, bitte schön, soll diesen intelligenten Geist in die Flasche einer App programmieren? Vielleicht ein Voodoo-Priester?
Also, ich muss schon sagen, mein Respekt gegenüber den Autoren ist schon merklich abgeschmolzen. Jetzt kommt aber noch ein neues Argument: Bias Mensch: „Ein menschlicher Coach kann in einer mehrstündigen Session nicht alle Auffälligkeiten wahrnehmen und sich sämtliche Informationen merken.“ Völlig korrekt: Bin ich Jesus? Natürlich nicht. Muss ich aber auch nicht werden. Warum muss ich mir denn alles merken? Ich bin doch keine Maschine. Im Gegenteil: Ich bin besser. Ich nutze Heuristiken. Und im Gegensatz zur Maschine, weiß ich, dass ich Heuristiken, also Daumenregeln benutzte, ich stelle mich kritisch immer wieder infrage, bringe meine Wahrnehmungen in der Supervision zur Sprache und lerne daraus. Die KI verspricht mir stattdessen auf einen riesigen Fundus an aufgezeichneten Daten zuzugreifen. Wer strukturiert mir die Daten zu Informationen und zu Wissen? Das Thema hatten wir schon: Wissensmanagement – dead as a dodo.
Akzeptanzprobleme
Ich kann es nicht mehr verleugnen und gebe es nun offen zu: Es fehlt mir schlicht an positiver Haltung! Ich bin zu kritisch. Doch das ist auf Kundenseite auch nicht anders. Es gibt Vorbehalte. Man nennt es mangelnde Akzeptanz. Mit Siri, Alexa und dem DB Navigator mag man sich im Alltag noch abfinden. Doch wenn es intim wird, wenn es um die persönlichen Belange geht, wollen die Leute sich nicht mit einer Maschine abspeisen lassen. Da will man sehr klar erklärt bekommen: Warum? Weshalb? Wozu?
Ganz schön paradox: Der Coach muss jetzt da aushelfen, wo die Maschine patzt: Bei der Empathie. Und auf der Metaebene. Irgendwie doof. Denn mithilfe der Maschine könnte man Coaching doch wunderbar skalieren. Skalieren heißt multiplizieren: Geld verdienen. Weil man Coaching zum Produkt macht. Coaching ist aber kein Produkt, sondern eine personalisierte Dienstleistung. Das schwant offenbar auch den Autoren dieses Beitrags. Deshalb verkünden sie das Blended Coaching als Non-Plus-Ultra für die nächsten Jahre. Bis die KI dann so gut geworden ist, dass …
Sorry, ich sehe nicht, dass dieser Gap übersprungen werden wird. Ich bin Systemiker. Aber klar ist, und da stimme ich den Autoren zu, dass wir unsere Kompetenz verbessern müssen. Dass wir mitreden und mitentscheiden werden müssen. Und sehr überlegt und koproduktiv mit unseren Klienten schauen müssen, was geht und was nicht. Und es geht vielleicht nicht mit jedem alles. Muss ja auch nicht.