INSPIRATION: Tacit Knowledge ist Erfahrungswissen, das im Wissensmanagement eine herausragende Rolle spielt. Es gilt, verborgenes Arbeitswissen zu heben und zu verhindern, dass es verloren geht. Beispielsweise durch Mitarbeiter, die das Unternehmen verlassen. Hier haben Unternehmen in der Vergangenheit ordentlich Lehrgeld bezahlen müssen, man erinnere sich nur an das Jahr-2000-Problem (Millennium-Bug). Oder an gar manche voreilige „Entsorgung“ von Mitarbeitern in den Frühruhestand. Seitdem sollte man wissen: Tacit Knowledge ist das Gold in den Köpfen der Mitarbeiter. Man sollte es aufstöbern, beispielsweise mit der Methode der Netzwerkanalyse (Soziale Netzwerkanalyse). Und es dokumentieren, es in Arbeitsanweisungen gießen und in Wikis verewigen.
Unausgesprochene Annahme war dabei bislang, Mitarbeiter wollen prinzipiell ihr Wissen teilen. Tun sie es nicht, dann lediglich aus Gedankenlosigkeit. Was aber wäre, wenn manche Mitarbeiter ihr Wissen absichtlich zurückhalten würden? Diese Hypothese wurde in dieser Forschungsarbeit (Knowledge Hiding in der Praxis) aufgestellt und – siehe da – bestätigt.
Es sind solche Sternstunden, dass Forscher auf zunächst abseitige Ideen kommen und feststellen: Es gibt dazu bislang kaum empirische Daten. Knowledge Hiding, so zeigt diese Untersuchung, wenn auch auf der schmalen Grundlage von zwölf qualitativen Interviews, wird auch in deutschen Unternehmen quer durch die Branchen und Hierarchieebenen betrieben, es wird bei Mitarbeitenden und Führungskräften auch wahrgenommen, aber es steht kaum auf der Agenda – auch weil ein packender Begriff dafür bislang fehlte.
Hinterm Busch
Wir reden nun nicht von den berühmten Peanuts: „Umfragen aus Nordamerika zeigen, dass bis zu 76 % der Mitarbeiter Wissen vor ihren Kollegen zurückhalten.“ Man rechnet das dann hoch und kommt schnell auf einen potenziellen Verlust in Milliardenhöhe. Die Forscher unterscheiden drei verschiedene Strategien: Verstecken oder aktives Zurückhalten von Informationen, sich dumm Stellen und legitimes, begründetes Zurückhalten (bspw. wegen Vertraulichkeit). Es ist vor allem fehlendes Vertrauen, das die Mitarbeiter wahrnehmen, das zu diesem kontraproduktiven Verhalten führt. Aber auch Machtkalküle spielen eine Rolle, insbesondere bei Mitarbeitern, die sich durch Machiavellismus auszeichnen.
Die Konsequenzen sind absehbar: Bist du wortkarg mir gegenüber, halte ich dich auch knapp mit Informationen. Schnell entwickelt sich in der sozialen Interaktion eine allgemeine Lose-Lose-Dynamik, unter der die gesamte Organisation leidet. Produktivität, Servicequalität, Innovationskraft, Arbeitszufriedenheit und so weiter sinken bald. Die Fluktuation nimmt zu … Die Wissensmanager zucken hilflos mit den Schultern, verweisen auf ihre schönen Datenbanken, Wikis etc., die ungefüllt bleiben, und appellieren an die Vernunft der Mitarbeiter.
Lose-Lose-Dynamik
Was kann man nun tun, das wirklich hilft? Die Forscher verweisen auf neue, interaktive Arbeitsweisen wie Agilität, raten zur Sensibilisierung der Führungskräfte und beschwören – natürlich – die Unternehmenskultur. Mehr fällt ihnen leider nicht ein. Dabei könnte man leicht an Wissen aus dem Bereich Compliance & Integrity anknüpfen. Denn kontraproduktives Verhalten ist ja nicht nur im Wissensmanagement relevant. Die Forschung dort hat vor Jahren schon beachtliche Erkenntnisse erbracht (Unethisches Verhalten in Organisationen). Ob da jemand absichtlich sein Wissen zurückgehalten hat? Oder hat man in der Recherche schlicht nicht über den Tellerrand geschaut?
Ist es nicht schlicht naiv, davon auszugehen, dass Mitarbeiter ihr Wissen freigebig verschenken? Was bekomme ich dafür? Ist das nicht eine zutiefst menschliche Frage? Wenn sich die Forscher damit befassen würden, kämen sie nicht nur zu Themen wie Ideenmanagement, kontinuierlicher Verbesserungsprozess etc., sondern auch zu Performance Management und Entgeltsystemen. Wie sagt der Volksmund: Reden ist Silber, Schweigen ist … – auch schön.