KRITIK: Spannend, dachte ich, als ich den Titel las. Weil ich bislang arg enttäuscht bin von den mageren Anwendungsbeispielen von „People Analytics“, war ich neugierig, wie wohl der Profifußball heutzutage Daten über sein „Personal“ erhebt. Und welche Schlussfolgerungen er hieraus zieht. Allzu viel erfahren habe ich leider nicht.
Die erste Aussage in dem Interview in der Personalführung (Schießen Daten Tore?) ist zunächst sehr einleuchtend: Wenn in der Bundesliga das Durchschnittsgehalt eines Spielers bei 2,5 Millionen Euro liegt, dann sollten sich die „Arbeitgeber“ schon sehr genau überlegen, ob sie den richtigen „Mitarbeiter“ einstellen. Dass sie für eine solch weitreichende Entscheidung möglichst viele Informationen einsammeln, ist auch verständlich.
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Und auch dieses Argument lässt sich in Teilen auf das Personalmanagement eines gewöhnlichen Unternehmens übertragen: Wenn die gesammelten Daten auch dazu genutzt werden, einen Spieler weiter zu entwickeln, seine Stärken auszubauen und seine Schwächen auszugleichen, dann steigt sein Wert. Und er sorgt beim Weiterverkauf für eine positive Transferbilanz. Nun verkaufen Unternehmen zwar ihre Mitarbeiter nicht. Aber auch sie sollten ja ein grundsätzliches Interesse daran haben, dass ihre Mitarbeiter sich entwickeln, dazulernen und in ihrem Job immer besser werden.
Der Wert der Mitarbeitenden
Im Sport gibt es schon lange die physiologische Leistungsdiagnostik. Hier werden Daten über „konstitutionelle, metabolische, kardiovaskuläre und muskuläre Eigenschaften“ gesammelt und ausgewertet. Hieraus lassen sich Erkenntnisse für das Training ableiten. Im Nachwuchsbereich werden sie sicherlich auch genutzt, um schon früh Defizite zu erkennen und Auswahlentscheidungen zu treffen.
Was liegt da näher als auch psychologische Messverfahren einzusetzen, um „vor allem Parameter der Stressverarbeitung und Persönlichkeit sowie kognitive Fertigkeiten“ zu erfassen? Die Profivereine beschäftigen inzwischen hierfür sogar Data Scientists. In der Hoffnung, den Spieler noch weiter, noch umfassender vermessen zu können und die aufbereiteten Daten dem Trainer zur Verfügung zu stellen. Mehr erfahren wir in dem Interview nicht. Wie es aussieht, ist man hier offenbar noch nicht wirklich viel weiter gekommen.
Interessant ist allerdings die Diskussion über die Frage, wem die Daten gehören. Dem Spieler natürlich, sagen die Autoren. Nun stelle ich mir vor, ein Verein sammelt jede Menge dieser Daten über einen Spieler, und dann wechselt dieser den Club. Die Datenschutzbestimmungen schreiben vor, dass er die über ihn erhobenen Daten zur Verfügung gestellt bekommt. Mal vorausgesetzt, die anderen Vereine setzen die gleichen Methoden der Datenerhebung mit den gleichen Verfahren ein, dann könnten diese damit in der Tat ja auch etwas anfangen. Aber so weit ist es wohl noch lange nicht.
Wem gehören die Daten?
Übertragen auf Unternehmen: Würden Arbeitgeber ständig ähnlich viele Daten über jeden Mitarbeiter speichern (was ja zumindest bei Menschen, die viel am Computer arbeiten, kein Problem ist) und diese ihrem Mitarbeiter beim Verlassen der Firma aushändigen – was wäre da wohl die Folge?
Im Profifußball, so die Aussage, „geben Spieler ihre Daten mit großem Enthusiasmus ab, weil sie sich davon Impulse für ihre weitere Entwicklung erhoffen.“ Kommentar der Autoren: „Das mag man für naiv halten und vermutlich ist es das auch.“ Aber sie begrüßen den „positiven Drive“ und wünschen sich das auch in Unternehmen.
Was genau ist daran naiv? Dass die Spieler glauben, Impulse für die Entwicklung zu erhalten? Oder dass sie die Konsequenzen dieser großzügigen Datenüberlassung nicht erahnen? Wie auch immer: Auch im Profifußball wird nur mit lauwarmen Wasser gekocht. Es heißt hier, dass es noch immer an einheitlichen und standardisierten Methoden mangelt. Man wünscht sich ein vereinsübergreifendes Inventar, das es vielleicht in zehn oder 15 Jahren geben wird. Dann also wird es möglich sein, dass die Vereine die gesammelten Daten je Spieler einfach weitergeben. Vermutlich wird es dann eine Verknüpfung zur Transfersumme geben und man kann endlich genau messen, was ein Spieler wert ist. Letzteres steht nicht in dem Interview, sondern liegt einfach nahe.
Bekannt kritisch betrachtet Uwe Kanning im gleichen Heft die Entwicklung („Völlig absurd“): Er sieht die zur Zeit auf den Markt geworfenen Analyseverfahren sehr kritisch und rät aus Sicht der Forschung von einem Einsatz in der Diagnostik ab. Ohne das Potenzial ganz zu leugnen. Da würde mich mal interessieren, inwieweit sich der Footbonaut, den einer der Autoren entwickelt hat und über den ich mich schon 2012 amüsiert habe, sinnvolle Daten liefert.
Warten wir also mal ab, welche Diagnoseverfahren sich die Personalmanager so einfallen lassen. Vom Profifußball ist da wohl eher wenig zu erwarten.