INSPIRATION: Mitten in der Corona-Pandemie sieht sich der Coaching-Markt mit disruptiven Veränderungen konfrontiert. Das Face-to-face-Coaching, lange der „Gold-Standard“ im Business, ist aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht mehr möglich.
Die Branche entdeckt, teilweise schmerzhaft, das Online-Coaching auch „geht“. Das weitet den Blick auf den Megatrend Konnektivität und den damit verbundenen Trend der Digitalisierung. Und plötzlich erscheinen die sogenannten Digital Coaching Provider (DCP) auf der Bildfläche.
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Die Coaching-Branche wird damit konfrontiert, so die Autoren Middendorf und Ritter, dass die Impulse für eine weitere Professionalisierung vom Markt kommen (Coaching-Branche: Zur Professionalisierung gezwungen). Und nicht – wie bislang – von den Coaching-Verbänden oder aus der Forschung. Wobei so auch offensichtlich wird, was bislang nicht geschafft wurde: Einheitliche Ausbildungsstandards und ein Konsens bezüglich der Qualitätskriterien. Es gibt keine staatlich anerkannte Ausbildung zum Coach, die damit auch wissenschaftlich fundiert sein müsste. Und auch die undurchsichtige Coaching-Verbandslandschaft hat sich nicht grundsätzlich gelichtet.
Umfragereihe DCP360
Digitale Plattformen nach US-amerikanischem Vorbild (Amazon & Co.) sind in den Markt eingetreten und versuchen, Coaching von A bis Z über eine digitale Plattform anzubieten: Vom Einkauf bei den Unternehmen und der Akquisition von Coachs über die digitale Abwicklung (oft über eine App) bis zur Evaluation und Abrechnung. Nach dem Motto: Unternehmen können Coaching komplett an Spezialisten outsourcen, Coachs brauchen kein Marketing mehr und die Plattform wickelt alles ab und erhält dafür eine entsprechende Provision. Man nennt das ein Geschäftsmodell.
Man könnte die Story auch anders lesen: Die Unternehmen verlieren ihre interne Kompetenz und kaufen Coaching ein wie Kopierpapier. Die Coachs verlieren den eigenen Marktzugang und verdingen sich für kleines Geld. Und die Plattform dominiert das Geschäft und streicht den Mehrwert ein (Coaching: Quo vadis?).
Das Ziel der Umfragereihe DCP360 ist „eine möglichst transparente Darstellung der teilnehmenden DCPs“. Und die erste Erkenntnis besteht gleich in der Heterogenität der Geschäftsmodelle. Gemeinsam haben die Unternehmen jedoch den Start-up-Charakter – und dass sie schnell dazu übergehen, das Geschäft zu erweitern, vom Coaching generalisierend hin zur Personalentwicklung oder sogar zur allgemeinen Lebensberatung. „Der Nischenbereich des Coachings allein reicht offenbar kaum aus, um einem Investment von 103 Mio. USD gerecht zu werden.“ Coaching ist das Sprungbrett für den Einstieg in den allgemeinen Weiterbildungsmarkt.
Das neue Geschäftsmodell
Die damit einhergehende Digitalisierung des Coachings verändert die Arbeitsweise in allen Bereichen: Die Unternehmen, die Coaching an die DCPs outsourcen, sparen sich Aufbau und Pflege des Coach-Pools und die lästige Administration des Coachings. Die DCPs versprechen sogar, die bislang oft vernachlässigte Evaluation der Coaching-Prozesse durchzuführen.
Die Coachs müssen nun bei den DCPs neu akquirieren und andocken. Von pauschaler Akzeptanz qua Verbandsmitgliedschaft oder -zertifizierung bis hin zum Assessment reicht da das Spektrum. Ernüchternd werden sie eine bescheidene Einsatzhäufigkeit, eine ebenfalls bescheidene Honorierung und die Akzeptanz des gesamten Prozessmanagements inklusive toolgestütztem Matching (statt Auftragsklärungsgespräch) und Evaluation (statt gemeinsamer Auswertung), zur Kenntnis nehmen müssen.
Und eine Sache ist unumstößlich klar: Die DCPs werden „aufgrund ihrer Strukturen und verschiedenen Software-Lösungen für ihre Kunden eine enorme Datenmenge sammeln“. Die Themen Datenschutz und Persönlichkeitsrechte werden durch die Zentralisierung höchst sensibel. Für die Coachs entsteht damit eine völlig neue Situation: Sie stehen unter permanenter Beobachtung (=Leistungsbeurteilung). Ohne dass sie Einfluss auf deren Konzeption haben. Ihnen bleibt bloß, sich dieser Logik anzupassen und präventiv keinen Klienten „hart anzufassen“ oder zu „verschrecken“, weil sie dies als Evaluationsbumerang treffen könnte.
5 Jahre später
Schaut man mit Abstand auf die Entwicklung der DCPs, scheint sich die alte Weisheit, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird, zu bewahrheiten. Einerseits mussten Coachs ihre Digitalkompetenz entwickeln und haben das auch in der Breite getan. Andererseits gab es nach dem Fall der Kontaktbeschränkungen schnell eine Rückkehr zum Präsenz-Coaching. Doch leben wir heute in einer hybriden Welt. Inzwischen wird auch qualifizierter darüber gesprochen, wie Online-Kommunikation gelingen kann (Wessen einziges Instrument ein Hammer ist).
Um die DCPs ist es ruhiger geworden. Allgemein ist eine Marktkonsolidierung zu beobachten. Auch beim Top-Personal ließen sich Wechselbewegungen verzeichnen. Man hört heute, dass DCPs große Kunden wieder verlieren. Und von Unternehmensseite hört man, dass wieder interne Coaching-Kompetenz aufgebaut wird, weil das als unverzichtbar wahrgenommen wird. Auch scheint „die gute, alte Coaching-Manufaktur“ nicht ausgestorben zu sein.
KI als Game Changer
KI als neues Thema überschattet inzwischen die Diskussion um die DCPs (Enormes Potenzial). Die einen munkeln, die DCPs hätten ihre gewaltigen Coaching-Prozessdaten an eine KI verfüttert. Deren Chatbots seien inzwischen so gut, dass man auf die einstmals verdingten Coachs leicht verzichten könne. Andere argumentieren, dass man nun auf die DCPs verzichten könne, da KI niedrigschwellig für jedermann zugänglich sei (Coaching ohne Coaches).
Und noch eine Entwicklung muss angesprochen werden: Die Reichweitenmacht der Social-Media-Kanäle. Die Kir-Royal-Sendung von Jan Böhmermann richtete den Scheinwerfer auf – von den Coaching-Verbänden eher als „Scharlatane“ bezeichnete – „Coachs“, die mittels enormer Marketingmacht auf Social-Media-Kanälen das Thema Life-Coaching besetzen und bedienen (Coaching: Das große Jammern).
Doch auch das wird nicht der letzte Schrei auf dem Markt gewesen sein. Wenn man sich die Verweildauern der unter 30-Jährigen bei Instagram und TikTok anschaut, und dann realisiert, welche gigantischen personalisierten Datenmassen dort auflaufen, braucht man nur 1 und 1 zusammenzuzählen: Diese Anbieter werden KI nutzen, um ihren Plattformnutzern Einkaufs- und Dienstleistungsangebote zu machen, die weder ein Verkäufer im Einzelhandel noch ein Coach aus Fleisch und Blut in der Lage sein werden, zu liefern. Diese Angebote werden affirmativ sein, nicht kritisch. Denn die Nutzer sollen ja bleiben …
Man wird abwarten müssen. Auch ob und welche Gegenbewegung sich dazu möglicherweise formieren wird.