INSPIRATION: Mit Learning Analytics den Lernerfolg zu steigern, ist bislang bloß eine Utopie. Denn bei der Datenerfassung und -analyse hapert es – trotz blumiger Werbeversprechungen der Anbieter.
Doch vielleicht ist es auch besser so, kann man dem exzellenten Beitrag von Martin Kersting (Vom Datenpunkt zum Lernerfolg) entnehmen. Er steigt mit einem Grundschulbeispiel ein, das zeigt, wie unbestritten wichtig individuelle Rückmeldung für Lernende ist.
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Problematisch wird es allerdings, wenn man die Rückmeldung der Grundschullehrerin an Maschinen delegiert. Hier passieren allerlei Denkfehler und – bei genauerer Betrachtung – wird offensichtlich, dass Datenerfassung und -analyse nicht nur ein Nadelöhr, sondern auch die Achillesferse sind.
Fangen wir mit den Denkfehlern an. Und dafür springe ich gleich in die zweite Hälfte dieses lesenswerten Beitrags. „Learning Analytics ist kein Selbstläufer.“
Als erstes bedarf es einer qualifizierten Bedarfsanalyse. Denn „wer den Hafen nicht kennt, für den ist jeder Wind der richtige,“ heißt es schon bei Seneca. Wer die Beantwortung dieser Frage an die KI delegiert, geht in den Blindflugmodus. Und wer meint, sie ohne die Einwilligung des Betriebsrats und der betroffenen Mitarbeitenden beantworten zu können, muss sich darauf einstellen, dass von dort Gegenwind kommt. Entweder frontal, oder als Scherwind. Beispiele für letzteres liefern all die Pseudosicherheitsunterweisungen, die man inzwischen aus den Betrieben kennt.
Nürnberger-Trichter-Denke
Stattdessen wird das aktive Commitment der Lernenden benötigt. Und hier wartet der bekannte Psychodiagnostikprofessor mit einem kleinen, aber feinen Statement auf: „Die Grundlage für Bildung ist Freiheit.“ Hand aufs Herz: Wie halten wir es eigentlich mit der Freiheit? Versuchen wir im Unternehmensalltag nicht viel zu oft, die Mitarbeitenden zum Jagen zu tragen – ob sie nun wollen oder nicht?
Keine handfeste Bedarfsanalyse ohne gute Datenqualität. Auch hierzu der passende Spruch: Garbage in, garbage out. Ein großes Hindernis stellt der Datenschutz dar. Die Daten, die man für eine gute Bedarfsanalyse braucht, sind sensibel. Gar manche Mitarbeitende fürchtet Diskriminierung und verweigert die Akzeptanz. Setzt man sie unter Druck oder umgeht sie gar, bekommt man entweder Fake-Daten – oder Besuch vom Betriebsrat. Also wieder Hand aufs Herz: Wie halten wir es mit der informationellen Selbstbestimmung?
Umdenken nötig
Für alle, die an der Stelle die Augen verdrehen und über Wege nachsinnen, doch „irgendwie“ an die Daten zu kommen, gibt es noch ein wichtiges Gegenargument: Motivation. Und die hängt unmittelbar mit der Freiheit zusammen. Mitarbeitende müssen umfassend informiert und aufgeklärt werden. Und sodann nach ihrer Zustimmung gefragt werden. Und das nicht nur einmalig. „Lernende müssen bestimmen können, ob und wann sie ihre Daten für Learning Analytics zur Verfügung stellen. Sie müssen die Möglichkeit erhalten, sich jederzeit temporär oder final abzumelden und erhobene Daten löschen zu lassen.“
Mit motivierten Mitarbeitenden zu arbeiten, ist nicht nur leichter, es bringt auch viel mehr als eine Mauschel- oder Tricksertour. Nicht die alte Instruktionsdidaktik (Nürnberger Trichter) ist der Königsweg. Personalentwickler und – von Pädagogik in der Regel unbeleckte – IT-Architekten müssen umdenken und sich mit der Ermöglichungsdidaktik („Hilfe zur Selbsthilfe“) befassen. „Die Rückmeldungen und Empfehlungen des Systems [müssen] für die Lernenden akzeptabel sein.“
„Hilfe zur Selbsthilfe“
Und Akzeptanz benötigt Transparenz und Plausibilität. Sagen wir es klar: Die Einverständniserklärung der Mitarbeitenden zu Beginn ist notwendig, aber nicht ausreichend. Sie darf nicht als Blankoscheck missverstanden werden. Sie ist eine Holschuld, die permanent eingefahren werden will. Es wird also eine kontinuierliche Begleitung notwendig. Dafür braucht es kompetente Ansprechpartner. Solche, die zuhören, die Mitarbeitenden ernst nehmen und selbst lernen wollen.
Lernen und Feedback gehen Hand in Hand. Auch das kann man mehr oder weniger einfühlsam und kompetent gestalten. Die Lernbegleiter sind hier ebenfalls gefordert. Eine schlichte Delegation dieser wichtigen Funktion an KI wäre fahrlässig. Man darf die Mitarbeitenden mit einem Learning-Management-System (LMS) nicht allein lassen. Der Experte drückt sich noch einmal deutlich aus: „Durch den Konsum von kurzen, trivialen Wissenshäppchen erwirbt man keine Bildung.“ Lernen ist auch ein sozialer Prozess. Daher ist auch das Lernen in und mit der Gruppe unverzichtbar. Und das erinnert an einen weiteren, lesenswerten Beitrag, der den Faktor Zeit herausstellt. Lernen braucht Zeit (Gebratene Tauben im Anflug). Das Gras wächst nicht schneller, wenn man an ihm zieht.
Kontinuierliche Verbesserung
Lernen funktioniert nicht automatisch, und KI ist eine Black Box. Daher müssen betriebliche Experten kontinuierlich diese Prozesse monitoren, nachsteuern, verbessern. One-fits-all-Lösungen großer Anbieter müssen den Gegebenheiten vor Ort angepasst werden. All das wird nur im offenen und ehrlichen Dialog mit den Mitarbeitenden gelingen. Ansonsten wird man eine Menge Blödsinn fabrizieren. Experte Kersting bleibt jedoch skeptisch-optimistisch: „Learning Analytics hat sein Potenzial bislang nicht entfaltet. Das Konzept aber ist so faszinierend und vielversprechend, dass wir an der Idee festhalten sollten. Es bedarf jedoch einer soliden theoretischen Fundierung und umfassender empirischer Forschung, um dieses Potenzial auch vollends auszuschöpfen.“