27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Coaching ohne Coaches

INSPIRATION: Das Thema KI ist das (!) Thema des Jahres 2024. Sie soll ein Game Changer – nicht nur – im Wissensmanagement sein, sagen die einen. Sie ist eine Fake-Maschine, sagen die anderen. Macht sie nun auch noch Coaches arbeitslos?

Stefan Stenzel (ChatGPT kann auch „coachen“!?) beschreibt die Hintergründe des überraschenden Hypes von ChatGPT-3 im November 2022 und dessen basale technische Funktionsweise. Die Hintergründe sind schnell erklärt: Es geht um Geld. Um sehr viel Geld. Um einen gigantischen Markt. Ein Indiz dafür ist, dass inzwischen Microsoft, der Software-Gigant eine KI serienmäßig in sein Office-Programm integriert hat – und gegen Geld natürlich – dessen Nutzung anbietet. Ob jeder Mensch so etwas braucht oder nicht, lasse ich einmal dahingestellt sein. Aber KI ist da, sozusagen „on your fingertip“. Und da bietet es sich niedrigschwellig an, es zum „Coach“ zu machen.


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Ist das nun „richtiges“ Coaching? Das ist eine spannende Streifrage. Und MWonline hat sich in diesen Streit auch schon öfters eingemischt (Intelligente Chatbots?). Wenn man sich die Sache nicht von einer Expertenwarte aus anschaut, dann entscheidet die Kundschaft, was sie als Coaching wahrnimmt. Und mag es noch so „schlecht“ sein. Damit könnte der Zug schon abgefahren sein. Es sei denn, die Kundschaft hat höhere Ansprüche an die Plappermaschine. Das könnte ein gutes Argument sein. Nicht nur von Endkunden, sondern auch von Unternehmen, spezifischere bzw. Weiterentwicklungen nachzufragen. Erste Tests von bspw. Microsofts „Copilot“ lesen sich jedenfalls eher ernüchternd.

Aus dem Maschinenraum

Um beurteilen zu können, worin der Nutzen der KI bestehen könnte, muss man sich erst einmal vergegenwärtigen, wie ChatGPT funktioniert. „Ganz allgemein gesprochen zählt ChatGPT („Chat“ von „Chat-bot“ und „GPT“ für „Generative Pre-trained Transformer“) zu der Klasse der sogenannten „generativen KI“. D.h. gefüttert mit Millionen von Daten (aus dem Internet) generiert die künstliche Intelligenz (KI) intelligente, d.h. zu verschiedensten Fragevarianten passende und immer neue Antworten.“ Dahinter steckt Maschinenlernen. Das heißt, die KI hat das Internet „gefressen“ – bis zum Jahr 2021 (pretrained). Und dabei hat es Muster entdeckt. Mittels eines Large Language Modells (LLM), also eines Sprachmodells, produziert (generiert) es Antworten auf eine Frage (Prompt).

Der Transformer zerlegt die eingehende Frage in einzelne Elemente und berechnet die Wahrscheinlichkeit jedes dieser Elemente auf der Grundlage des vortrainierten Wissens. „Nach dem Leitsatz ‚Rechenpower und Algorithmen statt Sinn oder Bedeutung‘ weiß der Transformer nicht um die eigentliche Bedeutung von Wörtern und Sätzen i.e.S. – er weiß nicht, was er sagt, sondern berechnet passend zu der gestellten Frage (und zu den Eingabeanweisungen, auch „Prompts“ genannt) und basierend auf angewandter Vektorrechnung bzw. Matrix-Algebra die passendste Wortfolge – nicht Grammatik oder gar Sinn – für die Antwort Wort für Wort.“ Wir haben es mit einem Machine Learning System (MLS) zu tun.

Intelligent, schlau, weise?

Das klingt ernüchternd: Die Maschine ist nicht intelligent, geschweige denn weise – und auch nicht empathisch. Wenn Menschen sie als solche wahrnehmen, liegt es am menschlichen Hang zur Vermenschlichung von allem und jedem – nicht an der Maschine und deren angeblicher Genialität. Anthropomorphismus nennt man das, Zuschreiben menschlicher Eigenschaften durch den Menschen. Kinder lernen so etwas schon vor dem zweiten Lebensjahr. Es muss für uns Menschen nur einigermaßen plausibel sein. Das ganze Internet repräsentiert den Durchschnitt menschlichen Wissens. Das kommt uns irgendwie bekannt vor. Es ist durchschnittlich. Und wenn ich behaupte, das Internet besteht zur Hälfte aus Müll, passt das auch. „Was bei der Abarbeitung der Algorithmen im Detail jedoch passiert bzw. wie der Output bzw. die Aussage zustande kam, kann niemand mehr sagen, geschweige denn nachvollziehen und ist wie das Gehirn damit eine echte (gefährliche!?) ‚Blackbox!‘.“

Jetzt wenden wir das mal aufs Coaching an: All die flache Ratgeberliteratur, all die Kalenderweisheiten, all die falschen, schrägen oder sogar gefährlichen Ideen inklusive kultureller Voreingenommenheit – all das hat die KI inhaliert und spuckt sie auch wieder aus. Und vielen gefällt das! Und wenn die KI halluziniert oder Quatsch produziert: Erstens merkt das nicht jede:r. Zweitens findet es gar manche:r lustig. Und drittens sind Menschen faul. Hat man sich bislang nicht auch schon auf Wikipedia verlassen? Wer hat schon Lust und Zeit für Quellenstudium?

Autor Stenzel, im Berufsleben Angestellter eines großen und erfolgreichen deutschen IT-Unternehmens und Coaching-Experte, diskutiert die Vor- und Nachteile, die Chancen und Risiken des KI-Einsatzes ausführlicher. Faszination und Spieltrieb auf der einen Seite stehen Deep Fakes und ungeklärte Urheberrechtsfragen gegenüber. Also auch Fragen der Technikfolgeabschätzung oder der Ethik. Und er konstatiert eine Goldgräberstimmung: „Entsprechende Coachbots (z. B. Vici von AI Coaching, AIMY von CoachHub, BeTSy von bts oder Alpina von evoach) schießen aktuell wie Pilze aus dem Boden.“

El Dorado?

Damit deuten sich hochinteressante neue wirtschaftliche Perspektiven an. Wurde vor Monaten das Gründerfieber bei Coaching-Plattformen (Digital Coaching Provider – DCP) beschrieben und kritisch gewürdigt (Coaching-Branche: Zur Professionalisierung gezwungen), könnte jetzt der nächste Schritt anstehen: Den menschlichen Coach, der sich auf das Häppchenmodell (30-Minuten-Sessions via Smartphone) der Coaching-Industrie eingelassen hat, befällt vermutlich zurzeit die Befürchtung, dass all seine Coaching-Sessions „mitgeschnitten“ und an die KI verfüttert worden seien. Jetzt könnte die KI vermutlich Coaching ohne Coaches durchführen. Die Coaches würden potenziell arbeitslos. Stenzel prognostiziert eine Marktspreizung vom günstigen „Bestseller-, Convenience- bzw. Einstiegscoaching für Jederfrau“ bis zur Premium-Version. KI könnte auch in der Coach-Ausbildung oder -Supervision zum Einsatz kommen. Sie gibt dem Coach dann Rückmeldung über seine Lieblingsfragen oder -phrasen und dokumentiert das Coaching als Zusammenfassung. Oder generiert automatisch Hausaufgaben für den Klienten. Stenzel gibt noch weitere Anwendungsbeispiele.

„Dame ohne Unterleib“

Eine spannende Frage wird angerissen, aber noch nicht in der Tiefe ausgelotet: Die Kommunikation mit der KI erfolgt derzeit rein textlich. Das wird sich bald ändern. Dann kann man mit ihr sprechen oder sie sieht einen als Avatar an. All das gibt es schon seit mehr als zehn Jahren (SimSensei & MultiSense). Die KI erkennt an der Sprache und der Mimik Emotionen und kann darauf reagieren. Auch das wird ihren Einsatz noch verlockender – und wer weiß? – gefährlicher machen.

KI kann auf Emotionen reagieren, aber sie weiß nicht, was Emotionen wirklich sind. Die „Blechbüchse“ spiegelt ein schiefes Menschenbild („Dame ohne Unterleib“, alles findet nur im Gehirn statt). Die Leiblichkeit des Menschen und das, was wir Embodiment (Die Rückkehr der Gefühle) nennen, erlebt sie nicht. Ob sie auch das noch lernen wird? Ich bin diesbezüglich – und mit der Meinung nicht allein (Und ewig lockt die KI) – sehr skeptisch. Noch …?

Ein schöner Aufsatz, der das Thema komprimiert auf den Punkt bringt. Einziger Wermutstropfen: Das Quellenverzeichnis ist recht schmal. Neben der Buchveröffentlichung des Autors (Coaching in der sich dynamisch verändernden Arbeitswelt) fehlen wichtige fachliche Quellen wie Digitalisierung als Paradigmenwechsel im Coaching.

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