10. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Und ewig lockt die KI

REZENSION: Catrin Misselhorn – Künstliche Intelligenz und Empathie. Vom Leben mit Emotionserkennung, Sexrobotern & Co. Reclam 2021.

Das Büchlein will einen Überblick über die Diskussion um KI geben und zur kritischen Auseinandersetzung anregen. Es gliedert sich in sieben Kapitel, die sehr gut aufeinander aufbauen. Zunächst werden die Begriffe geklärt: Was meint Künstliche Intelligenz? Warum versucht man nun, Roboter emotional intelligent zu machen? Und was meint das eigentlich? Im zweiten Kapitel wird dann erklärt, wie automatisierte Emotionserkennung heute funktioniert – nämlich über die Erkennung von Emotionen im Gesichtsausdruck, stimmbasierte Emotionserkennung und über die sogenannte Sentimentanalyse (sprachliche Begriffe). Die gigantischen Social-Media-Plattformen sind das gefundene Fressen (Futter) für solche Analysen. Und seit dem US-amerikanischen Wahlkampf im Jahr 2016 wissen wir, die Logik lässt sich auch umdrehen: Robots können öffentliche Meinungen verändern.


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Der nächste Schritt besteht darin, eine automatische Emotionserkennung mit Hilfe von Bio-Sensoren umzusetzen. Auch das gibt es schon in Form von Wearables (Smart-Watches, Fitnesstracker etc.). Hier kann man sich allerlei hilfreiche Gesundheits- und Medizinanwendungen vorstellen. Aber auch im Gaming-Bereich gibt es schon Anwendungen. Führt man solche Methoden zusammen, erhält man multimodale Szenarien. Neben den zahlreichen technischen Herausforderungen (die die Technologie bislang nur teilweise bedienen kann) eröffnen sich nicht minder zahlreiche ethische und juristische Probleme.

KI mag zwar inzwischen Emotionen erkennen können. Doch weiß die KI selbst dummerweise damit wenig anzufangen. Was wäre, wenn es eine gäbe, die Empathie empfinden könnte? Das könnte doch beispielsweise für Roboter in der Altenpflege sinnvoll sein. Damit wird die Latte für artifizielle Empathie sehr hoch aufgelegt. Doch es lassen sich bislang kaum überzeugende Umsetzungen finden. Vermutlich können solche Roboter Empathie lediglich simulieren. Roboter können auch keine Schmerzen empfinden. Roboter sind schlicht nur Maschinen. Und die Hoffnungen von IT-Fricklern, sie könnten ihre, oft schlichten Vorstellungen von „Psychologie“ in „intelligente“ Maschinen umsetzen, sind (vermutlich) Illusionen. „Entscheidend ist, dass ein Roboter Emotionen richtig erkennt, weniger wichtig ist, dass er selbst Empathie empfindet oder erlebt,“ lautet das Fazit der Autorin.

Von optischen Täuschungen

Menschen zeigen zwar Empathie mit Robotern, doch aus Wissenschaftssicht muss man hier eher von einer „optischen Täuschung“ sprechen. Und damit sind wir beim letzten Kapitel angekommen: Freundschaft, Liebe und Sex mit Robotern? Soziale Roboter sind mehr als Puppen und Stofftiere, sie simulieren Subjektivität und reziproke Interaktion. Wir betreten ein Zwischenreich zwischen unbelebten Objekten und Lebewesen. Zielgruppe von Sexrobotern sind eindeutig heterosexuelle Männer. Und deren Bedürfnisse sind nicht nur Sex, sondern auch eine „Begleitung“. Keine Frage, das ist ein vielversprechender Markt. Und es hagelt sogleich Kritik! Befürchtet wird eine Entmenschlichung von Frauen durch den Einsatz solcher Roboter. Die Autorin dreht die Perspektive radikal und fragt: Wie gehen Menschen mit sich selbst um, wenn sie die Liebe zu Robotern suchen? Ihre Antwort lautet: Das ist Solipsismus. Sie drehen sich nur noch um sich selbst, produzieren sich eine narzisstische Echokammer der Selbstbestätigung. Zugespitzt lautet ihre These, „dass sich das Subjekt in einer solchen Beziehung letzten Endes selbst zum Ding wird,“ man ist Teil des Problems, nicht der Lösung.

Damit weitet sich der Blick auf die Gesellschaft, in der wir leben. Nicht im Sinne einer billigen Kapitalismusschelte, sondern mit dem Stichwort „Kolonialismus der Lebenswelt“ (Habermas). Unser Zeitgeist kultiviert die Rationalisierung und strategische Bewertung sämtlicher Lebensbereiche. Mit der Tendenz, dass am Ende nicht die Maschinen menschenähnlicher werden, sondern der Mensch der Maschine angepasst wird, auf sie reduziert, ein Ding wird. Das berührt nicht nur fundamentale philosophische Themen wie Freiheit, Selbstbestimmung, Unverfügbarkeit, Respekt und Würde, sondern auch grundlegende Werte unserer Kultur und Rechtsordnung.

Am Ende dieses Buches angekommen, muss man tief Luft holen – und nachdenken. Und diskutieren. Die Thematik ist vertiefbar, aber auch erweiterungsfähig. Die KI-Interessierten – das müssten heutzutage eigentlich alle sein – bekommen mit diesem Buch fundiertes Wissen und Orientierung an die Hand. Und die teilweise beruhigende Erkenntnis: Roboter verstehen nur Maschinensprache. Doch Beziehung können nur Menschen.

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