REZENSION: Björn von Schlippe / Arist von Schlippe – Mehr als Unsinn: Eine kleine Erkenntnistheorie des Witzes. V & R 2020.
Alle Welt sucht nach Sinn. Auch in Unternehmen jagt man ihm unter dem Stichwort „Purpose“ inzwischen nach. Doch wo Sinn gesucht wird, offenbart sich oft Unsinn. Oder es stellt sich bald die Frage nach dem Unterschied zwischen beidem. Dieses – nicht nur auf den ersten Blick – durchaus verwirrende Thema hat zwei Brüder dazu verleitet, der Sache einmal auf den Grund zu gehen. Der eine ist Illustrator, der andere Psychologe und Hochschulprofessor, beide tragen den Namen von Schlippe.
Und so paart sich philosophische Hintergründigkeit mit oft schnoddrig ins Bild gesetzter Situationskomik. Es gibt eine Kapitelstruktur, die sich allerdings kaum in den Vordergrund drängt, denn nach wenigen Seiten unterbrechen Cartoons die leicht daherkommende Prosa, die allerdings enormen Tiefgang aufweist.
Spiele mit der Sprache
Gerade totalitäre Regime fürchten den Humor, erfährt man gleich zu Anfang. Und warum das so ist: „Jeder gute Witz – das ist unser Ausgangspunkt – beinhaltet einen erkenntnistheoretischen Anteil, da in ihm immer mit Sprache gespielt wird“ (S. 12). Denn Sprache und Wirklichkeit sind nicht deckungsgleich. Sprache ist oft ungenau, bildhaft, ambivalent. Und wenn man genauer hinschaut, eröffnet sich ein Abgrund des Zweifels, der bislang für wahr Gehaltenes in Frage stellt. Sprache kann sich verirren und es könnte alles ganz anders sein. Die Leser erfahren so en passant, und es fallen hier Namen gewichtiger Philosophen wie Nietzsche oder Wittgenstein, was Kontingenz oder Paradoxie bedeuten. Oder Reframing. Und dazu gibt es herrlich freche, zynische oder lustige Cartoons, die das Geschriebene in Szene setzen.
Die Kunst der doppelten Erwartungsenttäuschung
Der fortgeschrittene Leser wird bald in die Kunst der doppelten Erwartungsenttäuschung eingeweiht. Der Humor spielt mit Erwartungen und erschüttert sie. Und der Zuhörer erwartet dies zugleich. Spannung wird aufgebaut und entlädt sich dann im Lachen. Aber die Enttäuschung darf nicht allzu groß werden, sonst bleibt einem das Lachen im Halse stecken. So werden die Leser durch absurdeste Kontexte geführt, mit Wortwitz oder dem allzu wörtlich Nehmen von Wendungen ergibt sich eine wilde Tour d’horizon, die der Cartoonist in zahlreichen Episoden bildlich auf den Punkt bringt.
Als Schlusslektion wird die Leserschaft mit der heimlichen Überlegenheit des Witzeerzählers und der Metakomplementarität konfrontiert. Denn: Humor ist die Waffe des Schwächeren! Von Luhmann stammt der Begriff der doppelten Kontingenz. Man kann sich gegenseitig nicht durchschauen. Unsicherheit bedeutet auch Freiheit. „Die Möglichkeit der Sprache bringt es mit sich, dass man da lügen und schmeicheln kann, wo der Instinkt nur Zähneblecken ermöglicht“ (S. 122). Die im Komischen liegende Widersprüchlichkeit ist eine zentrale Dimension menschlicher Existenz, zitiert Arist von Schlippe den Soziologen Peter Berger zum Schluss.
Ein schönes Büchlein haben die Autoren geschaffen, kurzweilig zum Lesen und Schmökern, aber im Literaturverzeichnis tummeln sich dann die wissenschaftlichen Giganten und mögen den einen oder anderen zum Vertiefen animieren. Nur einer wird vermisst: Erasmus von Rotterdam (Das Lob der Torheit). Nicht nur Trainer und Coaches werden ihre Freude an diesem Büchlein haben.