21. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Irgendwas mit Präsenz

KRITIK: Das neue Normal soll die digitale, ortlose Organisation sein. Das ist die Konsequenz aus der Pandemie. Doch wie alles im Leben, hat das nicht nur seine guten Seiten. Ob es da noch einen dritten Weg geben könnte?

Wie kann man die richtige Balance zwischen organisationaler Distanz- und Präsenzwelt finden, fragt sich der Autor (Irgendwie, irgendwo, irgendwann?). Und er fokussiert auf den Umstand, dass jede Organisation eine formale und eine informelle Seite aufweist. Letztere ist nicht nur „Slack“, also Verschwendung durch informelle Gespräche auf dem Flur oder an der Kaffeemaschine, sondern lebensnotwendig für die formelle Seite. Denn auf dem „kleinen Dienstweg“ können Dinge geregelt werden, die formell nicht vorgesehen sind, aber anfallen – wie IT-Ausfall oder ein Bypass zum schlecht designten Standardprozess. Der Autor bezeichnet das als Paradoxie, dass jede „Organisation auf etwas angewiesen [ist], das sie selbst nicht herstellen kann.“


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Und genau diese Paradoxie wird nun beim Erstarken der digitalen, ortlosen Organisation virulent: „Das disruptive Moment an der gegenwärtigen Konstellation besteht darin, dass das Potenzial der Organisation, arbeitsteilige Prozesse (auseinander) zu ordnen, durch technische Möglichkeiten rechenmäßig beschleunigt wird und dabei auf eine gestiegene Nachfrage trifft, die effektverstärkend wirkt.“ Will sagen: Wenn die Mitarbeitenden im Homeoffice, im Café oder auf La Palma sitzen, können sie sich nicht mal eben auf dem Flur treffen. Den gemeinsamen Flur gibt es nicht mehr. Man müsste ihn digital neu erfinden. Aber vielleicht ist das müßig und funktioniert eh nicht, weil jeder seine eigene Kaffeemaschine nicht im Irgendwo, sondern nebenan hat. Man müsste sich also ganz gezielt (also formell) aufmachen, um andere informell zu treffen. Das ist paradox.

Der Verlust der Informalität

Mit dem Umzug in die Virtualität und der Kultivierung der Ortlosigkeit riskiert das Management, aber auch all die Mitarbeitenden, auf das Potenzial der Informalität zu verzichten. Damit wird das Formale gestärkt. Und es droht „ein Erwachen ohne Anwesende“. Die Organisation droht, zu einem Ort zu werden, an dem niemand mehr ist. Klingt „strange“!

Ist aber nicht neu: Schließlich träumte man schon einmal, nämlich in den 1980er-Jahren von menschenleeren Fabriken, in denen nur noch Roboter werkeln. Es kam anders. In den 1990er-Jahren haben wir uns intensiv mit dem Gegenteil, mit der Einführung von Gruppenarbeit in Unternehmen, beschäftigt. Und das hatte unter anderem den Grund, dass man erkannt hatte, dass die Vision im „richtigen Leben“ nicht funktioniert. „Zahlreiche Betriebe investieren zwei- und dreistellige Millionenbeträge in rechnergestützte Produktionssysteme und betreiben gleichzeitig eine systematische Unternutzung der verfügbaren und durch Investition in Ausbildung erheblich erweiterbaren menschlichen Qualifikationen,“ kann man im Lehrbuch der Arbeitspsychologie von Eberhard Ulich nachlesen. Und selbst etliche Jahre (2018) später räumt Elon Musk ein: Tesla produziere immer noch weniger Autos als geplant. Es liege daran, dass er Menschen zu wenig zugetraut habe – und Robotern zu viel.

Die Argumentation von Autor Wendt erscheint vor diesem Hintergrund doch etwas schmal. Vor allem könnte er darauf verweisen, dass der Traum von der menschenleeren Fabrik heutzutage ein Pendent kennt: den digitalen Taylorismus (Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt). All die verstreut vor sich hin werkelnden Mitarbeiterinnen müssen doch auf ein gemeinsames formales System zugreifen: die Organisation in der Cloud. Und dieses digitale System erzwingt gnadenlos Prozesstreue von allen, ob die Mitarbeiter das nun gut oder hilfreich finden – oder nicht. Und es verhindert „kleine Dienstwege“. Wer da nicht verzweifeln oder abstumpfen möchte, dem bleibt nur das „Hacking the System“ übrig.

Ein dritter Weg

So radikal ist Autor Wendt nicht. Immerhin zieht er den richtigen Schluss, indem er konstatiert, dass man mit der Schwarz-Weiß-Malerei keinen Blumentopf gewinnen kann. Sondern dass es darauf ankommt, den Zwischenbereich zwischen Distanz- und Präsenzwelt zu gestalten. (These, Antithese, Synthese – na, wer sagt’s denn?) Das Management muss die Antwort darauf geben, „wozu (!) persönliche Anwesenheit erforderlich ist, um das Verhältnis zwischen Präsenz- und Distanzwelten der Organisation erfolgreich auszutarieren.“ Um das Potenzial persönlicher Begegnung zu nutzen, nennt er zwei Präsenzformate, auf die die ortlose Organisation nicht verzichten sollte:

  • Offsite Retreats: Man bringt die Remote-Teams aus dem digitalen Nebeneinander ins analoge Zusammensein. Ziele: Die soziale Kohäsion stärken und die Zusammenarbeit als gemeinsame Gestaltungsherausforderung zu gestalten.
  • Neue Bürowelten: Architektonisch attraktive Orte der Arbeit und Kooperation jenseits von Homeoffice, Café oder La Palma (Stichwort: Campus-Atmosphäre) können die Mitarbeitenden zu einer temporären Rückkehr zur lokalen Organisation vor Ort animieren.

Nun denn: Gut gebrüllt, Löwe! Doch so richtig neu ist das alles nicht.

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