5. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Irrtümer und Mythen

KRITIK: Ich muss mal was Grundsätzliches loswerden. Immer häufiger erscheinen Artikel oder gar ganze Bücher, in denen wir aufgeklärt werden, dass das, was gerade von den einen verkündet wird, auf Irrtümern oder Mythen basiert. Und dann wird gezeigt, wie die Welt „tatsächlich“ ist. Das soll vermutlich größere Schäden verhindern, vor allem aber dem Ansehen der Autoren dienen.

Das Muster solcher Beiträge ist stets das Gleiche: Es wird eine These in den Raum gestellt, zum Beispiel „In vielen Organisationen wird betont, dass es vor allem auf den Menschen und dessen Mindset ankommt, und dass sich die Mitarbeitenden als ganze Menschen einbringen können, sollen und müssen“ (Missverständnis Menschlichkeit). Anschließend wird an verschiedenen Aspekten angesagter Managementkonzepte diese These „belegt“.


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Um der Argumentation dann mehr Nachdruck zu verleihen, werden anschauliche Beispiele aus der Unternehmenspraxis gezeigt, die beweisen sollen, wie schädlich es sein kann, dem Mythos oder Irrtum zu erliegen. Um am Ende mit sehr banalen Ratschlägen um die Ecke zu kommen. Beispielsweise dass man sich der Folgen bewusst sein sollte. Oder dass man die Aufmerksamkeit auf das wirklich Wichtige richten soll, in diesem Fall zum Beispiel lieber an den Strukturen als am Menschen anzusetzen. 

Wenn ich dann die Irrtümer und Mythen 1 bis 5 (manchmal sind es auch mehr, selten weniger) lese, dann frage ich mich oft, wer denn tatsächlich so denkt. Ein Beispiel: Erweiterte Handlungsspielräume als Beleg für die These, dass Unternehmen unter dem Deckmantel „Menschlichkeit“ („damit unsere Mitarbeiter glücklicher sind“) zu sehr den Menschen in den Mittelpunkt rücken. Statt Mitarbeitenden genau vorzuschreiben, wie eine Tätigkeit ausgeübt werden muss („Wenn der Gast ein Bier bestellt, bringt der Kellner es ihm“), nennt man ihm nur den Zweck bzw. das Ziel und überlässt ihm das „Wie“. Damit hat er mehr Handlungsfreiräume und es geht ihm und der Organisation gut.

Reim‘ Dich oder ich fress‘ Dich

Jetzt der „Irrtum“: Wenn dem Mitarbeitenden nicht die zur Erfüllung des Zwecks notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, dann muss er sich durchwurschteln. Er muss seine Kompetenzen überschreiten, Regeln brechen und die Leitung wäscht ihre Hände in Unschuld. Fazit: Bei aller Selbstorganisation braucht es doch gewisse Regeln und Routinen, und so lautet dann die Empfehlung zum Schluss: „Mehr Regeln wagen“

Da fragt sich doch der Leser, wie das in einer Organisation bisher lief ohne „erweiterte Handlungsspielräume“. Was wäre denn dort passiert, wenn die Mitarbeitenden nicht die notwendigen Ressourcen hatten? Das Gleiche, oder? Genau das ist doch Standard: Wir sollen die Anlage komplett sichern, ehe wir an ihr arbeiten, aber das kostet Zeit und Geld. Also wird auch hier die bisher geltende Regel umgangen, die Führungskräfte schauen weg.

Logische Hütchenspielertricks

Um das mal zu überspitzen: Der Gast bestellt ein Fassbier, aber der Kellner hat die Ressource nicht zur Verfügung, weil der Inhaber vergessen hat, Nachschub zu ordern. Was macht er mit erweiterten Handlungsspielräumen und dem Zweck „Stell den Gast zufrieden“? Er füllt ihm das Glas mit Flaschenbier. Oder erklärt dem Gast, dass es im Moment nicht vorrätig ist und bietet ihm ein Flaschenbier an. Was macht er ohne erweiterte Handlungsspielräume? Er sagt dem Gast: „Haben wir nicht!“ Oder, wenn er „mitdenkt“ und noch nicht jedes Engagement aufgegeben hat, das Gleiche wie der Kellner im ersten Fall.

Das Problem in dem Beispiel ist doch nicht der erweiterte Handlungsspielraum, sondern die fehlende Ressource. Und in allen Organisationen, ob mit oder ohne erweiterte Handlungsspielräume, ist das nicht gut. In beiden muss geklärt sein, was in solchen Fällen passiert. Bei der Organisation mit erweiterten Handlungsspielräumen sucht der Mitarbeitende eine Lösung im Rahmen der Regeln. Hat er keinen Handlungsspielraum, zuckt er mit den Schultern. Und dass Organisationen Regeln brauchen, erst recht, wenn sie den Mitarbeitenden Freiräume gewähren wollen, ist einfach nur banal. Was sollen dann also diese ganzen Warnungen vor den gravierenden „Irrtümern“?

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