PRAXIS: In jedem Seminar, in jedem Workshop, in jedem Meeting wird gejammert. Vor allem über das Unrecht, das uns geschieht. Die Umstände, die uns an der Verwirklichung unserer Pläne hindern, die Menschen, die uns das Leben schwer machen. Das Jammertal gibt dem Klagen Zeit und Raum.
Denn die Klagen haben eine wichtige Funktion: Sie entlasten. Geben wir den Menschen nicht die Möglichkeit, ihren Unmut zu äußern, schafft er sich ohnehin irgendwann Platz und beeinträchtigt die Diskussion um Lösungen und Veränderungen. Statt aber das Jammern in großer Runde zu pflegen, kann diese Entlastung mithilfe einer „humorvollen Inszenierung“ unterstützt werden.
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Horst Lempart räumt dem „Jammertal“ eine Ecke im Raum ein. Entweder wird diese durch eine Pinnwand abgetrennt oder einfach nur durch ein großes Schild mit der Aufschrift „Jammertal“ in einer Ecke gekennzeichnet. Z.B. hängt dort das Blatt an einer Wäscheleine. Wenn dann die ersten Klagen geäußert werden über Dinge, die im Augenblick nicht beeinflusst werden können (Vorgesetzte, Vorschriften, Behörden, Kollegen, Budgetbegrenzungen …), erklärt der Moderator, dass es wichtig ist, auch die Dinge zu nennen, die andere betreffen, die gerade nicht im Raum sind. Dafür hat er das „Jammertal“ eingerichtet, und jeder, der den Impuls verspürt, etwas loswerden zu wollen, kann das „Jammertal“ betreten.
Betreten wir das Jammertal
Es steht demjenigen dann frei, hinter die Wand zu gehen und für sich loszujammern, oder er schreibt seine Klage auf eine Karte und hängt sie auf. Der Moderator kann auch schon zu Beginn einer Veranstaltung die ganze Gruppe auffordern, ins „Jammertal“ zu gehen und hemmungslos über alles zu klagen, was ihr einfällt. Und sich dabei noch kräftig gegenseitig zu bestärken und anzustacheln.
Die Konsequenz ist, dass die Teilnehmer in der Regel sensibilisiert sind und im weiteren Verlauf der Veranstaltung nicht nur das Jammern schnell erkennen und sich gegenseitig darauf hinweisen, sondern den Klagenden auch gezielt ins „Jammertal“ schicken. Ebenso kann der Moderator bei „Rückfällen“ die Aufmerksamkeit auf die Ecke richten. Die aufgezeichneten Klagen können auch am Ende gemeinsam gesichtet und daraufhin untersucht werden, ob sie im Nachgang zur Veranstaltung an die entsprechende Stelle adressiert werden und in welcher Form.
Weitere Spielarten sind die „Klagemauer“, ein „Wunschbaum“, ein „Reklamationsbuch“ oder das „Tal der Tränen“ (Taschentücher, die beschriftet und aufgehängt werden) – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Übrigens: Das Vorgehen lässt sich auch im Einzelcoaching wirkungsvoll einsetzen.
(nach: Horst Lempart: 52 agile Seminarmethoden. Junfermann 2019 S. 75-78)