15. Mai 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Kontraproduktives Arbeitsverhalten

KRITIK: Der Blick auf die Persönlichkeit ist offenbar mal wieder groß in Mode. So auch in Sachen Wirtschaftskriminalität: „Kontraproduktives Arbeitsverhalten“ lässt sich mit Hilfe von Persönlichkeitstests vorhersagen. Logische Konsequenz: Der Einsatz von Persönlichkeitstests bei der Personalauswahl. Wirklich?

Klaus Watzka, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaft, hat die Erkenntnisse zusammengefasst (Schwachstellen in der Organisation). Unter „kontraproduktivem Verhalten“ werden alle willentlichen Akte verstanden, die andere oder die Organisation schädigen. Das fängt an mit klassischem Diebstahl, Betrug und Beschädigung, geht über Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften, Suchtmittel- und Arbeitszeitmissbrauch, absichtliche Minderleistung bis zu unangemessenem Verbalverhalten und physischen Handlungen. 


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Neigen bestimmte Persönlichkeiten eher zu solchen Verhaltensweisen? Die Forschung zeigt, dass es Zusammenhänge gibt, als da wären: 

  • Empfundene Ungerechtigkeit: Es gibt Menschen, die reagieren auf empfundende Ungerechtigkeit empfindlicher als andere, laut Studien häufen sich nach als ungerecht empfundenen Entscheidungen im Unternehmen die Diebstähle und Sabotage-Akte.
  • Mangelnde Selbstkontrolle: Menschen, die sich selbst schlecht im Griff haben, tendieren eher zu unlauterem Verhalten, die Korrelation lag bei einer Studie mit 176 Probanden bei -0,63 – das ist in der Tat ein relativ hoher Zusammenhang.
  • Die dunkle Triade, also die Mischung aus Machiavellismus (manipulativer Umgang mit anderen nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel!), Narzissmuss (Überhöhung der eigenen Person) und Psychopathie (Mangel an Rücksicht und Empathie) zeigt laut einer Metastudie mit knapp 44.000 Probanden einen positiven Zusammenhang zum kontraproduktiven Arbeitsverhalten.
  • Gewissenhaftigkeit nach dem Big Five-Modell sowie Ehrlichkeit/Bescheidenheit nach dem Hexaco-Modell (Erweiterung des Big Five-Modells – das ist der Fortschritt: von 5 zu 6 Dimensionen). Ehrlichkeit als Merkmal korreliert mit -0,48  mit schädlichem Verhalten, Gewissenhaftigkeit mit -0,4. Was damit erklärt wird, dass diese Menschen nun mal davon überzeugt sind, dass deviantes Verhalten falsch ist bzw. die Gewissenhaften sehr zielstrebig sind und deshalb nicht von ihrem ehrlichen Weg abweichen. 

Zwei interessante Ergänzungen: Stress führt dazu, dass weniger gewissenhafte Menschen noch eher abweichendes Verhalten wie Absentismus, Aggression oder Suchmittelmissbrauch zeigen. Ist irgendwie einleuchtend. Was weniger zu erwarten ist: Bei wegen Wirtschaftskriminalität inhaftierten Managern (n=76) fand man höhere Werte in Sachen Gewissenhaftigkeit als bei einer Kontrollgruppe. Was damit erklärt wird, dass man dieses Merkmal benötigt, nicht nur um gute Arbeit zu leisten, sondern auch um Karriere zu machen – soll heißen: Manager sind per se eher gewissenhaft. Aber warum sind die Inhaftierten gewissenhafter? Weil man auch für kriminelle Akte sehr professionell vorgehen muss, und da ist Gewissenhaftigkeit hilfreich. Da wundert nur, dass die in Freiheit befindlichen Manager weniger gewissenhaft sind, wo sie doch nicht erwischt werden… 

Und das Fazit?

Das ist doch klar: Im Rahmen der Personalauswahl sollte man die Merkmale mit Hilfe von Tests evaluieren, sprich: Kandidaten auswählen, die gewissenhaft und ehrlich sind, gering ausgeprägten Machiavellismus, Narzissmus oder Psychopathie zeigen, über eine hohe Selbstkontrolle verfügen und gegenüber Ungerechtigkeitsgefühlen unempfindlich sind. Ist doch nicht so kompliziert, oder? Wenn es denn so einfach wäre.

Mich erinnert das an eine Diskussion, die ich vor vielen Jahren erlebt habe. Da stellten findige Arbeitsschützer fest, dass es Mitarbeiter gab, die häufiger als andere Unfälle verursachten bzw. häufiger Unfälle erlebten. Logische Schlussfolgerung: Wenn man diese aus dem Verkehr zieht (oder anders einsetzt, trainiert, unterweist oder was auch immer), müssen doch die Unfallzahlen sinken. Ich meine sogar, dass man versuchte herauszufinden, bezüglich welcher Persönlichkeitsmerkmale diese Mitarbeiter sich von anderen unterschieden. 

Das Resultat: Kaum hatte man dafür gesorgt, dass diese Mitarbeiter keine Unfälle mehr verursachten, traten andere an ihre Stelle, und die Zahlen blieben gleich. Ich hätte den Verdacht, dass etwas ähnliches auch in Sachen kontraproduktives Arbeiten passiert. Selbst wenn man es schafft, dass in einer Organisation bestimmte Persönlichkeitsmerkmale dank diagnostischer Methoden „aussortiert“ werden, wird die Zahl der Delikte nicht sinken.

Sicher, das ist nur eine Hypothese. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass menschliches Verhalten derartig komplexe Ursachen hat, dass diese Konzentration auf das Individuum unerwünschte Handlungen kaum verhindern wird. Auch wenn es in dem Beitrag heißt, dass laut Studien die Persönlichkeitsmerkmale „deutlich mehr an Varianz beim devianten Verhalten erklären als die Existenz einer ethischen Unternehmenskultur…“ Was sich übrigens laut einer früheren Metastudie etwas anders darstellt: „Sehr deutlich zeigt sich den Wissenschaftlern der statistische Zusammenhang zwischen einer ethisch fundierten Unternehmenskultur und ethischem Verhalten.“ (Unethisches Verhalten in Organisationen).

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