KRITIK: Was wäre, wenn der Personaler vor sein Managementteam treten und vorhersagen könnte, wie sich das Geschäft entwickeln wird, wenn man bestimmte Personalmaßnahmen durchführt? Bisher waren seine Argumente stets schwach, oder besser zu weich. Das soll sich mit Data Analytics ändern. Zwei Beiträge in der PERSONALquarterly von Wissenschaftlern haben mich neugierig gemacht. Im ersten (Mehr Glaubwürdigkeit durch HR Analytics?) wird eine „Ethnografische Fallstudie“ beschrieben. Hier hat ein HR-Analytics-Team in einem Konzern über ein knappes Jahr bei der Arbeit beobachtet und einige Interviews durchgeführt wurden.
Wenn ich den etwas schrägen Text richtig verstehe, geht das Team so vor: Es schaut sich an, welche Themen wohl für die Zielgruppe (sprich: Das Management) von Interesse sein könnten, etwa die Auswirkungen einer Reorganisation auf das Wohlbefinden und die Produktivität der Mitarbeiter oder was die häufigsten Kündigungsgründe sind. Dann sprechen sie mit erfahrenen Personen, um sich fachlich fit zu machen. Im nächsten Schritt wird dieses Fachwissen mit IT-Kenntnissen kombiniert und man erstellt Dashboards. Wobei man darauf achtet, dass die „darin aufscheinenden Analysen in das strategische Gesamtbild passen und auch Mehrwert für Zielgruppen schaffen“. Gemeint ist sowas wie: „Was bringt uns das finanziell?“
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Schließlich werden die Daten entsprechend aufgearbeitet und grafisch dargestellt, „damit sie für die Vorstandsmitglieder auch verständlich und relevant sind“. Im Ernst jetzt?? Was haben die Personaler wohl all die Jahre vorher gemacht? Wie lange lese ich schon die Forderung, dass das Personalmanagement die Sprache des Vorstands sprechen muss. Nun machen sich also Informatiker auf und übersetzen die Ergebnisse ihrer Analysen in Vorstandssprache. Ich frage mich, wie „Wohlbefinden“ und „Kündigungsgrund“ in Vorstandssprache heißen. Schon klar, gemeint sind hier Zahlen, die in bunten Grafiken daherkommen. Aber das wird sicher nicht überzeugender, nur weil man die PowerPoint-Präsentationen jetzt „Dashboards“ nennt. Was sich ändert ist, dass die IT-ler den Personalern den Job wegnehmen. Aber das Schicksal erleiden ja auch andere Berufsgruppen.
Abwanderer identifizieren
Apropos Kündigungsgrund: In dem zweiten Beitrag geht es schon etwas interessanter zu. Hier wurden extern zugängliche Daten von Unternehmen und Mitarbeitern ausgewertet mit der Idee, diese zur Vorhersage von Abwanderungsabsichten zu nutzen (Kann Data Analytics zur Vorhersage von Mitarbeiterabwanderung beitragen?). Und in der Tat: Wenn man Dinge wie Verweildauer im Unternehmen, durchschnittliche Verweildauer auf den bisherigen Positionen, Berufserfahrung in den sozialen Netzwerken auswertet (und zwar von über 30.000 Personen), dazu Unternehmensdaten sammelt wie Alter der Firma, Standort, Profitabilität, Anzahl der Mitarbeiter, Bewertung als Arbeitgeber, Markenbekanntheit u.ä., dann gelingt es offenbar, die Vorhersage bezüglich der Abwanderung deutlich zu verbessern. Dazu nutzten die Forscher einen Algorithmus, der selbst lernte und die Daten auf Muster untersucht.
Im Ergebnis zeigt sich, dass die individuellen Daten deutlich mehr zur Vorhersage beitragen als die Firmendaten, beide zusammen aber noch etwas genauer sind. Wobei „genau“ in diesem Fall bedeutet: Würde man 10% der laut Algorithmus vom „Abwandern bedrohten“ Mitarbeiter ansprechen, würde man 29% der Abtrünnigen „erwischen“. Für den Personaler, der sich ja nicht ständig um alle Leute kümmern kann, ein Vorteil. Denn das bedeutet: Würde er ein entsprechendes Programm nutzen, müsste er nur den „bedrohten“ Teil der Belegschaft ansprechen.
Es ginge auch ohne Analytics
Nun bin ich ja von der eher skeptischen Art und denke: Ein guter Personaler kennt seine Klientel und kriegt früh mit, wenn jemand unzufrieden ist. Vielleicht gibt es auch Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter gut genug kennen, um solche Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Und schließlich: In Unternehmen, in denen ein offenes Klima herrscht, wird man sich ohnehin entsprechend um die Leute kümmern. Aber das ist vermutlich wirklich zu optimistisch gedacht, und somit sind wir beim Thema „Sprache des Managements“: Wer seinem Vorstand die Ergebnisse einer solchen Datenanalyse mit schönen Grafiken präsentiert, mag eher Mittel bewilligt bekommen, um die Abwanderungswilligen zu halten, als wenn er sich hinstellt und verkündet: „Ich habe mit Herrn X gesprochen und sehe die Gefahr, dass er das Unternehmen verlässt, wenn wir nicht …“.
Aber vielleicht gibt es ja auch Vorstände, die weniger Wert auf bunte Grafiken legen, sondern ernsthaft an den Bedürfnissen der Mitarbeiter interessiert sind. Auch wieder so ein altmodischer Gedanke.